Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 746

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beutung zu sichern. Von einer unwirtschaftlichen Raubwirtschaft mußte zur rationellen Ausbeutung übergegangen werden. Daraus sind die ersten Gesetze über den Maximalarbeitstag entstanden, wie die gesamte bürgerliche Sozialreform entsteht. Ein Gegenstück dazu haben wir in den Jagdgesetzen. Ebenso wie dem Edelwild eine bestimmte Schonzeit durch Gesetze gesichert wird, damit es sich rationell verbreitet und regelmäßig als Gegenstand der Jagd dienen kann, ebenso sichert die Sozialreform eine gewisse Schonzeit der Arbeitskraft des Proletariats, damit sie rationell zur Ausbeutung durch das Kapital dienen kann. Oder wie Marx sagt: Die Beschränkung der Fabrikarbeit war diktiert durch dieselbe Notwendigkeit, welche die Landwirte zwingt, den Dünger über die Felder auszugießen. Die Fabrikgesetzgebung wird im harten jahrzehntelangen Kampf mit dem Widerstand der Einzelkapitalisten erst für Kinder und Frauen und in einzelnen Industrien Schritt für Schritt geboren. Dann folgte Frankreich, wo erst die Februarrevolution von 1848 unter dem ersten Druck des siegreichen Pariser Proletariats den zwölfstündigen Arbeitstag proklamierte, welches das erste allgemeine Gesetz über die Arbeitszeit aller Arbeitenden, auch der erwachsenen Männer in allen Arbeitszweigen, war. In den Vereinigten Staaten begann gleich nach dem Bürgerkrieg von 1861, der die Sklaverei abschaffte, eine allgemeine Bewegung der Arbeiter für den Achtstundentag, die nach dem europäischen Kontinent hinüberschlug. In Rußland entstanden die ersten Schutzgesetze für Frauen und Minderjährige aus den großen Fabrikunruhen des Jahres 1882[1] im Moskauer Industriebezirk und der elf einhalbstündige Arbeitstag für erwachsene Männer aus den ersten Generalstreiks der 60 000 Textilarbeiter Petersburgs im, Jahre 1896 und 1897.[2] Deutschland hinkt jetzt mit seinen Schutzgesetzen nur für Frauen und Kinder allen anderen modernen Großstaaten nach.

Wir haben bis jetzt nur von einer einzigen Seite der Lohnarbeit gesprochen: von der Arbeitszeit, und schon hier sehen wir, wie sehr das bloße einfache Warengeschäft: der Kauf und Verkauf der Arbeitskraft, eigentümliche Erscheinungen nach sich gezogen hat. Aber hier ist es notwendig, mit den Worten von Marx zu reden: „Man muß gestehn, daß unser Arbeiter anders aus dem Produktionsprozeß herauskommt, als er in ihn ein-

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[1] Am 1. Juni 1882 wurde das Schutzgesetz für Minderjährige erlassen, das die Arbeit von Kindern unter 12 Jahren in Fabriken und Manufakturen verbot und die Arbeitszeit der 12- bis 15jährigen auf 8 Stunden begrenzte. Am 3. Juni 1885 folgte ein weiteres Gesetz, das die Nachtarbeit für Frauen und Halbwüchsige unter 17 Jahren in Baumwoll-, Leinwand- und Wollfabriken verbot.

[2] Am 2. Juni 1897 mußte die zaristische Regierung ein Gesetz erlassen, nach dem der Arbeitstag in den Betrieben auf 11,5 Stunden vermindert und Arbeitsruhe an Feiertagen festgesetzt wurde. Es trat am 1. Januar 1898 in Kraft.