Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 196

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liche Produkt in lauter Konsumtionsmitteln besteht. Damit kommen die Unternehmer aber in das uns schon bekannte Dilemma: Produzieren sie „ordinäre Waren“, so entsteht eine Krise, da die Arbeiter keine Mittel zum Ankauf dieser zuschüssigen Lebensmittel haben, sind sie doch bereits mit der Hälfte des Produktenwerts abgefunden; produzieren sie aber Luxuswaren, so müssen sie sie auch selbst verzehren. Tertium non datur. Auch der auswärtige Handel ändert nichts an dem Dilemma, denn die Wirkung des Handels besteht nur darin, „die Mannigfaltigkeit der Waren des inländischen Markts zu vergrößern“ oder die Produktivität zu steigern. „Entweder also sind diese ausländischen Waren – ordinäre Waren, dann mag sie der Kapitalist nicht kaufen, und der Arbeiter kann sie nicht kaufen, weil er die Mittel nicht hat, oder es sind Luxuswaren, dann kann sie natürlich der Arbeiter noch weniger kaufen, und der Kapitalist mag wegen seines Bestrebens zu sparen sie ebenfalls nicht.“ So primitiv die Beweisführung, so kommt dabei doch der Grundgedanke v. Kirchmanns und der Alp der theoretischen Nationalökonomie ganz hübsch und klar zum Ausdruck: In einer lediglich aus Arbeitern und Kapitalisten bestehenden Gesellschaft erscheint die Akkumulation als eine Unmöglichkeit. v. Kirchmann zieht daraus die Konsequenz, indem er unumwunden die Akkumulation, das „Sparen“, die „produktive Konsumtion“ des Mehrwerts bekämpft, gegen die Befürwortung dieser Irrtümer durch die klassische Nationalökonomie heftig polemisiert und den mit der Produktivität der Arbeit steigenden Luxus als das Mittel gegen die Krisen predigt. Man sieht, wenn v. Kirchmann in seinen theoretischen Prämissen eine Karikatur Ricardo–Says war, so ist er in seinen Schlußfolgerungen eine Karikatur Sismondis. Es war jedoch notwendig, die Fragestellung v. Kirchmanns ganz scharf ins Auge zu fassen, um die Antikritik Rodbertus’ und den Ausgang der Kontroverse würdigen zu können.

Sechzehntes Kapitel. Rodbertus' Kritik der klassischen Schule

Rodbertus gräbt tiefer als v. Kirchmann. Er sucht die Wurzeln des Übels in den Grundlagen selbst der gesellschaftlichen Organisation und erklärt der herrschenden Freihandelsschule erbitterten Krieg. Freilich nicht gegen das System des ungehinderten Warenverkehrs oder der Gewerbefreiheit, die er voll und ganz akzeptiert, zieht er ins Feld, sondern gegen das Manchestertum[1], das laissez faire in den inneren sozialen Verhältnissen der

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[1] Bezeichnung fur eine Richtung in der bürgerlich-liberalen Wirtschaftspolitik, die auf den Freihandel orientiert war, den Bedingungen des Kapitalismus der freien Konkurrenz entsprach und vor allem die Nichteinmischung des Staates in die Wirtschaft propagierte. Ihr Name geht auf die englische Industriestadt Manchester zurück.