Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 709

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Produktion der Gesellschaft – sagten wir früher – kann keinen Augenblick aufhören, weil die Konsumtion keinen Augenblick aufhört. Jetzt müssen wir hinzufügen: Da die Produktion nunmehr in einzelne selbständige Privatarbeiten zerrissen ist, von denen keine dem Menschen allein zu genügen vermag, so kann auch – soll die Konsumtion der Gesellschaft nicht aufhören – der Austausch keinen Augenblick aufhören. Alle tauschen also fortwährend mit allen ihre Produkte aus. Wie kommt das zustande? Kehren wir zu unserem Beispiel zurück. Der Schuster braucht nicht nur das Produkt des Bäckers, sondern er möchte von jeder anderen Ware eine gewisse Menge haben. Er braucht außer Brot noch Fleisch vom Schlächter, einen Rock vom Schneider, das Zeug zu einem Hemd vom Leinweber, einen Zylinderhut vom Hutmacher usw. Alle diese Waren kann er nur erlangen auf dem Wege des Tausches; was er aber seinerseits dagegen bieten kann, sind immer nur Stiefel. Für den Schuster haben demnach alle Produkte, die er zum Leben für sich braucht, zunächst die Form von Stiefeln. Wenn er Brot braucht, macht er zuerst ein paar Stiefel; braucht er ein Hemd, so macht er Stiefel; will er einen Hut oder Zigarren, er macht vor allem immer nur Stiefel. In seiner Spezialarbeit, für ihn persönlich hat der gesamte gesellschaftliche Reichtum, der ihm zugänglich ist, die Form von Stiefeln. Erst durch den Austausch auf dem Warenmarkt kann seine Arbeit aus der engen Stiefelform in die mannigfaltige Form der Lebensmittel verwandelt werden, die er braucht. Damit aber diese Verwandlung tatsächlich zustande kommt, damit die viele fleißige Arbeit des Schusters, von der er sich allerlei Lebensfreuden verspricht, nicht in der Stiefelform steckenbleibt, dazu ist eine wichtige Bedingung nötig, die wir schon kennen: Es ist notwendig, daß gerade alle die anderen Produzenten, deren Arbeitsprodukte der Schuster braucht, auch seine Stiefel brauchen und in Tausch nehmen wollen. Der Schuster kriegte alle anderen Waren nur dann, wenn sein Produkt, die Stiefel, von allen anderen Produzenten begehrte Ware wäre. Er kriegte von allen anderen Waren jederzeit so viel, wie er durch seine Arbeit eintauschen kann, wenn seine Stiefel eine jederzeit von jedermann begehrte Ware, also eine unbeschränkt begehrte Ware wären. Schon vom Schuster allein wäre es offenbar eine ziemliche Anmaßung und ein unbegründeter Optimismus, zu glauben, daß seine spezielle Ware von einer so absoluten und unbeschränkten Unentbehrlichkeit für das Menschengeschlecht wäre. Die Sache verschlimmert sich aber dadurch, daß sich genau in derselben Lage wie der Schuster auch jeder andere Einzelproduzent befindet: der Bäcker, der Schlosser, der Weber, der Fleischer, der Hutmacher, der Landmann usw.

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