Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 642

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/642

gesprochenem Gemeineigentum an Grund und Boden, keine kommunistische Wirtschaft an.

Nun haben solche Unterscheidungen nach rein äußerlichem Merkmal – wie bewegliche Habe und unbewegliche Habe – für die Produktion nicht den geringsten Sinn und stehen ungefähr auf derselben Höhe wie die anderen Grosseschen Unterscheidungen der Familienformen nach Männerherrschaft und Frauenherrschaft oder der Produktionsformen nach zerstreuenden und vereinigenden Wirkungen. Die „bewegliche Habe“ kann zum Beispiel bestehen aus Nahrungsmitteln oder aus Rohstoffen, aus Schmucksachen und Kultgegenständen oder aus Werkzeugen. Sie kann für den eigenen Gebrauch der Gesellschaft oder zum Austausch verfertigt werden. Je nachdem wird sie für die Produktionsverhältnisse von sehr verschiedener Bedeutung sein. Im allgemeinen urteilt Grosse über die Produktions- und Eigentumsverhältnisse der Völker – und hierin ist er ein typischer Vertreter der heutigen bürgerlichen Wissenschaft – nach den Nahrungsmitteln und sonstigen Konsumgegenständen im weitesten Sinne. Findet er, daß die Konsumgegenstände von einzelnen in Besitz genommen und verbraucht werden, so ist für ihn die Herrschaft des „Individualeigentums“ bei dem gegebenen Volke erwiesen. Dies ist der typische Weg, auf dem heutzutage der Urkommunismus „wissenschaftlich“ widerlegt wird.[1] Nach diesem tiefsinnigen Standpunkt erscheint eine Bettlergemeinschaft, wie man sie im Orient vielfach antrifft, welche die milden Gaben zusammenwirft und gemeinsam verzehrt, oder eine Diebesbande, die solidarisch das Gestohlene genießt, als „kommunistische Wirtschaftsgenossenschaft“ in Reinkultur. Hingegen kann eine Markgenossenschaft, die den Grund und Boden gemeinsam besitzt und gemeinsam bearbeitet, aber die Früchte familienweise verzehrt – jede Familie von ihrem Ackerstück –, eine „Wirtschaftsgemeinschaft nur in sehr bedingtem Sinne“ genannt werden. Kurz, das Entscheidende für den Charakter der Produktion ist nach dieser Auffassung das Eigentumsrecht an den Konsummitteln und nicht an den Produktionsmitteln, das heißt die Bedingungen der Verteilung und nicht der Produktion. Hier sind wir an einen Kardinalpunkt der nationalökonomischen Auffassung gelangt, der für das Verständnis der ganzen Wirtschaftsgeschichte von grundlegender Bedeutung ist. Indem wir Herrn Grosse nunmehr seinen Schicksalen überlassen, wenden wir unsere Aufmerksamkeit dieser Frage im allgemeinen zu.

Nächste Seite »



[1] Siehe [Felix] Somló: [Der Güterverkehr in der Urgesellschaft, Brüssel, Leipzig, Paris 1909, S. 155–177]. – [Fußnote im Original]