Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 641

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Viehzucht die Menschen zerstreuen.“ (S. 158.)[1] Also die räumliche „Vereinigung“ oder „Zerstreuung“ der Menschen bei der Arbeit entscheidet darüber, ob Kommunismus oder Privateigentum vorherrschen. Schade, daß Herr Grosse vergessen hat, uns darüber aufzuklären, warum Wälder und Wiesen, in denen man sich am leichtesten „zerstreut“, gerade am längsten – stellenweise bis auf den heutigen Tag – Gemeineigentum geblieben, während die Äcker, wo man sich „vereinigt“, am frühesten in Privatbesitz übergegangen sind. Und ferner, warum die Produktionsform, die am meisten in der ganzen Wirtschaftsgeschichte die Menschen „vereinigt“, die moderne Großindustrie, durchaus nicht ein Gemeineigentum, sondern die krasseste Form des Privateigentums, das kapitalistische Eigentum hervorgebracht hat.

Man sieht, der Grossesche „Materialismus” ist wieder einmal ein Beweis, daß es nicht genügt, von „Produktion“ und ihrer Bedeutung für das gesamte Leben der Gesellschaft zu reden, um materialistisch die Geschichte aufzufassen, daß namentlich getrennt von seiner anderen Seite, von dem revolutionären Entwicklungsgedanken, der historische Materialismus zu einer rohen und plumpen hölzernen Krücke wird, statt daß er, wie bei Marx, ein genialer Flügelschlag des forschenden Geistes war.

Vor allem zeigt sich aber, daß Herr Grosse, der von Produktion und ihren Formen so viel redet, sich über die grundlegendsten Begriffe der Produktionsverhältnisse nicht klar ist. Wir haben schon gesehen, daß er zunächst unter Produktionsformen solche rein äußerlichen Kategorien versteht wie Jagd, Viehzucht oder Ackerbau. Um nun innerhalb jeder dieser „Produktionsformen“ die Frage nach der Eigentumsform zu entscheiden – das heißt die Frage, ob Gemeineigentum, Familienbesitz oder Privatbesitz besteht und wem das Eigentum gehört –, unterscheidet er solche Kategorien wie „Grundbesitz“ einerseits und „fahrende Habe“ andererseits. Findet er, daß sie verschiedenen Eigentümern gehören, so fragt er sich, welche „bedeutender“ ist: die „fahrende Habe“ oder die unbewegliche Habe, der Grundbesitz. Je nachdem, was Herrn Grosse „bedeutender“ scheint, nimmt er als ausschlaggebend für die Eigentumsform der Gesellschaft. So entscheidet er zum Beispiel, daß bei höheren Jägern „die bewegliche Habe bereits eine solche Bedeutung gewonnen hat“, daß sie wichtiger sei als der Grundbesitz, und da die bewegliche Habe, so auch die Nahrungsmittel, Privateigentum sei, so erkennt Grosse hier, trotz aus-

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[1] Ernst Grosse: Die Formen der Familie und die Formen der Wirtschaft, Freiburg i. B. u. Leipzig 1896, S. 158.