Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 640

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freundeten Horden wird am gemeinsamen Feuer Platz und Nahrung eingeräumt. Passarge, als guter Europäer mit der geistigen Brille der bürgerlichen Gesellschaft, erblickt sogar in der „übertriebenen Tugend“, womit die Buschmänner alles bis auf den letzten Rest mit anderen teilen, eine Ursache ihrer Kulturunfähigkeit![1]

So zeigt es sich, daß uns die primitivsten Völker, und zwar gerade solche, die von der Seßhaftigkeit und dem Ackerbau weit entfernt sind, die gewissermaßen an dem Anfangspunkt der Kette der wirtschaftlichen Entwicklung stehen, soweit sie uns aus unmittelbarer Beobachtung bekannt ist, ein ganz anderes Bild der Verhältnisse bieten, als es im Schema des Herrn Grosse der Fall ist. Nicht „Zerstreuung“ und „Sonderwirtschaft“, sondern streng geregelte wirtschaftliche Gemeinschaften mit typischen Zügen der kommunistischen Organisation erblicken wir allenthalben. Dies bezieht sich auf die „niederen Jäger“. Über die „höheren Jäger“ genügt das Bild der Sippenwirtschaft bei den Irokesen, wie es von Morgan eingehend geschildert worden ist. Aber auch die Viehzüchter liefern ein genügendes Material, um die kühnen Behauptungen Grosses Lügen zu strafen.[2]

Die ackerbauende Markgenossenschaft ist also nicht die einzige, sondern bloß die höchstentwickelte, nicht die erste, sondern die letzte urkommunistische Organisation, die wir in der Wirtschaftsgeschichte antreffen. Sie ist selbst nicht ein Produkt des Ackerbaues, sondern der unermeßlich langen vorhergegangenen Traditionen des Kommunismus, der, im Schoße der Gentilorganisation geboren, schließlich auf den Ackerbau angewendet, in ihm gerade eine Höhe erreicht hat, die seinen eigenen Untergang gezeitigt hat. Die Tatsachen bestätigen also das Grossesche Schema durchaus nicht. Fragen wir nun nach einer Erklärung für das merkwürdige Phänomen dieses Kommunismus, der mitten in der Wirtschaftsgeschichte auftaucht, um alsbald wieder unterzutauchen, so dient uns Herr Grosse mit einer seiner geistvollen „materialistischen“ Erklärungen: „Wir haben in der Tat gesehen, daß die Sippe unter den niederen Ackerbauern vor allem deshalb soviel mehr Halt und Macht gewonnen hat als unter den Völkern anderer Kulturformen, weil sie hier zunächst als eine Wohnungs-, Besitz- und Wirtschaftsgemeinschaft auftritt. Daß sie sich hier aber zu einer solchen ausgebildet hat, erklärt sich wiederum aus dem Wesen der niederen Ackerwirtschaft, welche die Menschen vereint, während die Jagd und die

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[1] Siehe [Felix] Somló: Der Güterverkehr in der Urgesellschaft, Brüssel, Leipzig, Paris 19091, S. 116. – [Fußnote im Original]

[2] Randnotiz R. L.: Peruaner – aber das sind freilich keine Nomaden. Araber, Kabylen – Kirgisen, Jakuten. – Kaufman. Aus Laveleye Beispiele!