Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 737

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die Ausbeutung der Mehrarbeit durch Nichtarbeitende schon in alten Zeiten. Die Sklaverei im Altertum wie das Fronverhältnis und die Leibeigenschaft im Mittelalter beruhen beide auf der bereits erreichten Produktivität, das heißt der Fähigkeit der menschlichen Arbeit, mehr als einen Menschen zu erhalten. Beide sind auch bloß verschiedene Formen, in denen eine Klasse der Gesellschaft sich diese Produktivität zunutze machte, indem sie sich von der anderen Klasse erhalten ließ. In diesem Sinne sind der antike Sklave wie der mittelalterliche Leibeigene direkte Vorfahren des heutigen Lohnarbeiters. Aber weder im Altertum noch im Mittelalter wurde die Arbeitskraft trotz ihrer Produktivität und trotz ihrer Ausbeutung zur Ware. Das Besondere im heutigen Verhältnis des Lohnarbeiters zum Unternehmer, was es von der Sklaverei wie von der Leibeigenschaft unterscheidet, ist vor allem die persönliche Freiheit des Arbeiters. Der Warenverkauf ist ja ein auf völliger individueller Freiheit beruhendes, freiwilliges, privates Geschäft jedes Menschen. Ein unfreier Mensch kann seine Arbeitskraft nicht verkaufen. Ferner aber ist dazu noch als Bedingung erforderlich, daß der Arbeiter keine Produktionsmittel besitzt. Hätte er solche, so würde er selbst Waren produzieren und nicht seine Arbeitskraft als Ware veräußern. Die Loslösung, die Trennung der Arbeitskraft von den Produktionsmitteln ist also neben der persönlichen Freiheit, was heute die Arbeitskraft zur Ware macht. In der Sklavenwirtschaft ist die Arbeitskraft von den Produktionsmitteln nicht getrennt, im Gegenteil, sie bildet selbst ein Produktionsmittel und gehört neben Werkzeugen, Rohstoffen usw. als Privateigentum ihrem Herrn. Der Sklave ist selbst bloß ein Teil der unterschiedslosen Masse der Produktionsmittel des Sklavenhalters. In dem Fronverhältnis ist die Arbeitskraft direkt rechtlich an das Produktionsmittel, an die Scholle, gefesselt, sie ist selbst nur Zubehör des Produktionsmittels. Die Fronleistungen und Abgaben werden ja gar nicht von Personen, sondern vom Grundstück geleistet; geht das Grundstück als Erbe oder dergleichen in andere Arbeitshände über, so mit ihm zugleich die Abgaben. Jetzt ist der Arbeiter persönlich frei, und weder ist er jemandes Eigentum, noch ist er an Produktionsmittel gefesselt. Im Gegenteil, die Produktionsmittel sind in einer Hand, die Arbeitskraft in anderer, und zwar stehen sich die zwei Eigentümer als selbständige und freie, als Käufer und Verkäufer gegenüber – der Kapitalist als Käufer, der Arbeiter als Verkäufer der Arbeitskraft. Endlich führen aber auch die persönliche Freiheit sowie die Trennung der Arbeitskraft von den Produktionsmitteln, auch bei hoher Produktivität der Arbeit, nicht immer zur Lohnarbeit, zum Verkauf der Arbeitskraft. Ein solches Beispiel sahen wir

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