Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 734

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kann. Stiefel werden gekauft, um als Fußbekleidung zu dienen; eine Tasse wird gekauft, damit man aus ihr Tee trinkt. Zu was kann eine gekaufte Arbeitskraft dienen? Offenbar zum Arbeiten. Aber damit ist noch gar nichts gesagt. Arbeiten konnten und mußten die Menschen zu allen Zeiten, solange die menschliche Gesellschaft existiert, und doch vergingen ganze Jahrtausende, in denen die Arbeitskraft als käufliche Ware etwas gänzlich Unbekanntes war. Andererseits stellen wir uns vor, daß der Mensch mit seiner vollen Arbeitskraft nur imstande wäre, den eigenen Lebensunterhalt für sich selbst herzustellen, so wäre der Kauf einer solchen Arbeitskraft, also die Arbeitskraft als Ware, eine Sinnlosigkeit. Denn falls jemand eine Arbeitskraft kauft und bezahlt, sie dann mit seinen eigenen Produktionsmitteln arbeiten läßt und schließlich im Resultat nur den Lebensunterhalt für den Träger seiner gekauften Ware, für den Arbeiter, erhält, so liefe es darauf hinaus, daß der Arbeiter durch den Verkauf seiner Arbeitskraft nur die fremden Produktionsmittel kriegt, um mit ihnen für sich selbst zu arbeiten. Es wäre dies vom Standpunkt des Warenaustausches ein ebenso sinnloses Geschäft, wie wenn jemand Stiefel kaufen würde, um sie nachher dem Schuster als Geschenk zurückzugeben. Würde die menschliche Arbeitskraft keinen anderen Gebrauch zulassen, dann hätte sie für den Käufer keinen Nutzen und könnte also nicht als Ware auf dem Markt erscheinen. Denn nur Produkte von bestimmtem Nutzen können als Waren figurieren. Damit also die Arbeitskraft überhaupt als Ware erscheint, genügt es nicht, daß der Mensch arbeiten kann, wenn man ihm Produktionsmittel gibt, sondern daß er mehr arbeiten kann, als zur Herstellung seiner eigenen Existenzmittel notwendig ist. Er muß nicht nur für seinen eigenen Unterhalt, sondern auch für den Kaufherrn seiner Arbeitskraft arbeiten können. Die Ware Arbeitskraft muß also im Gebrauch, das heißt bei der Arbeit, nicht bloß ihren eigenen Preis, das heißt den Lohn, ersetzen können, sondern darüber hinaus auch noch Mehrarbeit für den Käufer liefern. Die Ware Arbeitskraft hat auch tatsächlich diese angenehme Eigenschaft. Aber was heißt das? Ist es etwa eine Natureigenschaft des Menschen oder des Arbeiters, daß er Mehrarbeit leisten kann? Nun, zur Zeit, wo die Menschen jahrelang eine Axt aus Stein machten oder Feuer durch stundenlanges Aneinanderreiben von zwei Holzstücken erzeugten, wo sie zur Verfertigung eines einzigen Bogens mehrere Monate brauchten, hätte der schlauste und rücksichtsloseste Unternehmer keine Mehrarbeit aus einem Menschen auspressen können. Es ist also eine gewisse Höhe der Produktivität der menschlichen Arbeit erforderlich, damit der Mensch überhaupt Mehrarbeit leisten kann. Das heißt,die Werkzeuge,

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