Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 719

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offenbar im Kreise, und schon der erste Schritt aus der primitiven kommunistischen Urgemeinde heraus erscheint als eine Unmöglichkeit. Die menschliche Gesellschaft war da anscheinend in einen Widerspruch eingeklemmt, von dessen Lösung der weitere Fortgang der Entwicklung abhing. Nun, die Ausweglosigkeit ist nur eine scheinbare. Ein Widerspruch ist freilich für [die] einzelnen Menschen im gewöhnlichen Leben etwas Unübersteigbares, im Leben der Gesellschaft im ganzen jedoch finden Sie bei näherem Zusehen solche Widersprüche auf Schritt und Tritt. Was heute als Ursache einer anderen Erscheinung auftritt, ist morgen ihre Wirkung und umgekehrt, ohne daß dieser fortwährende Wechsel in den Beziehungen das Leben der Gesellschaft aufhält. Im Gegenteil. Der Einzelmensch kann, wo er in seinem Privatleben vor einem Widerspruch steht, keinen Schritt weiter machen. Es wird in bezug auf das tägliche Leben sogar so sehr angenommen, der Widerspruch sei etwas Unmögliches, daß ein Angeklagter, der sich vor dem Gericht in Widersprüche verwickelt, dadurch schon als der Unwahrheit überführt gilt, und die Widersprüche können ihn unter Umständen ins Zuchthaus oder gar an den Galgen bringen. Die menschliche Gesellschaft im ganzen verwickelt sich aber fortwährend in Widersprüche, sie geht aber daran nicht zugrunde, sondern tritt umgekehrt erst dann in Bewegung, wo sie in Widersprüchen steckt. Der Widerspruch im Leben der Gesellschaft löst sich nämlich immer in Entwicklung, in neue Fortschritte der Kultur auf. Der große Philosoph Hegel sagt: „Der Widerspruch ist das Fortleitende.“[1] Und diese Bewegung in lauter Widersprüchen ist eben die wirkliche Art der Entwicklung der menschlichen Geschichte. Auch im gegebenen Fall, der uns hier interessiert, das heißt bei dem Obergang der kommunistischen Gesellschaft zum Privateigentum mit Arbeitsteilung und Austausch, hat sich der Widerspruch, den wir gefunden haben, in eine besondere Entwicklung, in einen langen geschichtlichen Vorgang aufgelöst. Dieser Vorgang jedoch war, abgesehen von den von uns angebrachten Korrekturen, im Wesen genau der von uns gegebenen Darstellung entsprechend.

Vor allem beginnt der Austausch tatsächlich schon in den primitiven Urzuständen mit Gemeineigentum, und zwar, wie wir es auch angenommen haben, in der Form von Tauschhandel, das heißt Produkt direkt gegen Produkt. Den Tauschhandel finden wir schon auf sehr frühen Kulturstufen der Menschheit. Da jedoch zum Austausch, wie dargelegt, das Privateigentum der beiden Austauschenden gehört und ein solches innerhalb der pri-

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[1] Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Wissenschaft der Logik, Zweiter Teil. Hrsg. von Georg Lasson, Berlin 1971, S. 31 f. Siehe auch S. 48–62.