Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 714

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/714

Schuster mit dem Vieh als solchem anfangen? Oder der Schlosser, der Weber, der Hutmacher, die keine Landwirtschaft treiben? Der unmittelbare Nutzen von Vieh als Lebensmittel wird also immer mehr außer acht gelassen, und alsdann wird das Vieh von allen jederzeit begehrt nicht mehr, weil es zum Schlachten, Melken oder Pflügen nützlich ist, sondern weil es jederzeit die Möglichkeit zum Tausch gegen jede beliebige Ware gibt. Es wird immer mehr zur spezifischen Nützlichkeit, zur Mission des Viehs, den Austausch zu ermöglichen, das heißt zur jederzeitigen Verwandlung der Privatprodukte in gesellschaftliche, der Privatarbeiten in gesellschaftliche Arbeiten zu dienen. Da das Vieh somit seinen Privatgebrauch, dem Menschen als Lebensmittel zu dienen, immer mehr vernachlässigt und sich ausschließlich seiner Funktion der ständigen Vermittlung zwischen den einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft widmet, so hört es auch allmählich auf, Privatprodukt wie jedes andere zu sein, sondern es wird von vornherein, von Hause aus, sozusagen vom Stall aus, gesellschaftliches Produkt, und die Arbeit des Viehzüchters wird nun im Unterschied von allen anderen Arbeiten in der Gesellschaft zu der einzigen direkt gesellschaftlichen Arbeit. Alsdann wird auch das Vieh gezüchtet nicht mehr allein zum Verbrauch als Lebensmittel, sondern daneben direkt zu dem Zwecke, als gesellschaftliches Produkt, als allgemeine Ware, als Geld zu funktionieren. Freilich wird das Vieh zum geringeren Teil auch noch geschlachtet oder vor den Pflug gespannt. Aber dieser sozusagen Privatgebrauch, Privatcharakter des Viehs verschwindet immer mehr gegenüber seinem offiziellen Charakter als Geld. Und als solches spielt es nun eine hervorragende und vielseitige Rolle im Leben der Gesellschaft.

1. Es wird endgültig allgemeines und offiziell anerkanntes Tauschmittel. Nun tauscht niemand mehr Stiefel gegen Brot oder Hemden gegen Hufeisen. Wer das wollte, würde mit Achselzucken abgewiesen. Nur für Vieh kann man etwas kriegen. Dadurch aber zerfällt der frühere doppelseitige Tausch in zwei getrennte Geschäfte: in Verkauf und in Kauf. Früher, als der Schlosser mit dem Bäcker ihre Produkte austauschten, hat jeder durch den bloßen Händewechsel zugleich seine Ware verkauft und die des anderen gekauft. Kauf und Verkauf waren ein und dasselbe Geschäft. Jetzt, wenn der Schuster seine Stiefel verkauft, so kriegt er und nimmt er auch nur dafür Vieh. Er hat zunächst erst sein eigenes Produkt verkauft. Wann er wieder etwas kauft, was er kauft, ob er überhaupt kauft, bleibt eine Sache für sich. Genug, der Schuster ist sein Produkt losgeworden, er hat seine Arbeit jetzt aus der Stiefelform in die Viehform

Nächste Seite »