Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 690

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stab, auf Großbetrieb berechnet. Als solche gerade findet sie im Schoße der markgenossenschaftlichen Organisation keine entsprechenden Organe und muß sich spezielle Organe schaffen, die über der Markgenossenschaft stehen. Wir wissen, daß die Leitung der öffentlichen Wasserwerke die tiefste Wurzel der Priesterherrschaft und jeder orientalischen Oberherrschaft war. Aber auch im Westen und überall gibt es verschiedene öffentliche Geschäfte, die, so einfach sie im Vergleich zur heutigen Staatsorganisation sind, doch in jeder primitiven Gesellschaft erledigt werden müssen, mit der Entwicklung und dem Fortschritt dieser Gesellschaft wachsen und deshalb mit der Zeit spezieller Organe bedürfen. Überall – in Deutschland wie in Peru, in Indien wie in Algerien[1] – konnten wir als den Zug der Entwicklung feststellen, daß die öffentlichen Ämter in der primitiven Gesellschaft die Tendenz haben, von der Wählbarkeit zur Erblichkeit überzugehen.

Zunächst ist auch dieser Umschwung, der langsam und unfühlbar vor sich geht, noch kein Bruch mit den Grundlagen der kommunistischen Gesellschaft. Vielmehr ergibt sich die Erblichkeit der öffentlichen Ämter auf natürlichem Wege aus dem Umstand, daß auch hier, wie im ganzen Wesen der primitiven Gesellschaften, die Tradition und die persönlich gesammelte Erfahrung am besten die gedeihliche Erledigung des Amtes sichern. Allein mit der Zeit muß die Erblichkeit der Ämter in gewissen Familien unvermeidlich zur Ausbildung einer kleinen einheimischen Aristokratie führen, die aus Dienern des Gemeinwesens zu dessen Herrschern wird. Namentlich dienten die ungeteilten Markländereien, der Ager publicus der Römer, an denen naturgemäß die öffentliche Gewalt unmittelbar haftet, zur wirtschaftlichen Grundlage der Standeserhöhung dieses Adels. Der Diebstahl des ungeteilten oder unbenutzten Marklandes ist die regelmäßige Methode aller einheimischen und fremden Herrscher, die sich über die Masse des Bauernvolkes emporschwingen und sie politisch unterjochen. Handelt es sich um ein von den großen Kulturstraßen abgeschlossenes Volk, so mag der primitive Adel in seiner ganzen Lebensweise wenig von der Masse sich unterscheiden, am Produktionsprozesse noch unmittelbar teilnehmen und eine gewisse demokratische Einfachheit der Sitten die Unterschiede des Vermögens vertuschen. So ist die jakutische Geschlechtsaristokratie nur um viele Viehstücke begüterter und in öffentlichen Geschäften einflußreicher als die Masse. Kommt aber ein Kontakt mit höher zivilisierten Völkern und reger Austausch hinzu, dann fügen sich bald verfeinerte Lebensbedürfnisse und Entwöhnung von der Arbeit zu sonstigen

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[1] Siehe S. 679, Fußnote 1.