Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 682

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/682

arbeiten, des Termins und der Art der Umteilungen – das alles war Sache der Gemeinde, das heißt der Dorfversammlung. Was die Häufigkeit der Umteilungen betrifft, so herrschte große Mannigfaltigkeit. In einem einzigen Gouvernement, Saratow zum Beispiel, unternahmen im Jahre 1877 von 278 untersuchten Dorf gemeinden nahezu die Hälfte die Umlosung jährlich, die übrigen aber alle 2, 3, 5, 6, 8 und 11 Jahre, während 38 Gemeinden, die allgemein das Düngen praktizierten, die Umteilungen ganz aufgegeben hatten.[1]

Das merkwürdigste an der russischen Markgenossenschaft ist die Art der Bodenverteilung. Hier herrschte nicht das Prinzip gleicher Lose, wie bei den alten Deutschen, oder der Größe der Familienbedürfnisse, wie bei den Peruanern, sondern einzig [und] allein das Prinzip der Steuerkraft. Das fiskalische Steuerinteresse beherrschte seit der „Bauernbefreiung“ das gesamte Leben der Dorf gemeinde, um die Steuern drehten sich alle Einrichtungen im Dorfe. Für die zarische Regierung existierten zwar als Grundlage der Besteuerung nur die sogenannten „Revisionsseelen“, das heißt alle männlichen Einwohner der Gemeinde ohne Altersunterschied, wie sie seit der ersten Bauernzählung unter Peter dem Großen etwa alle 20 Jahre durch die berühmten „Revisionen“ festgestellt wurden, die der Schrecken des russischen Volkes waren und vor denen ganze Dörfer auseinanderliefen.[2]

Die Regierung besteuerte die Dörfer nach der Zahl der revidierten „Seelen“. Die Gemeinde aber veranlagte die auf sie entfallende Pauschalsumme der Steuern auf die Bauernhöfe nach Arbeitskräften, und nach der so berechneten Steuerleistungsfähigkeit wurde der Bodenanteil jedes Hofes bemessen. Der Bodenanteil erschien somit in Rußland seit 1861 von vornherein nicht als Grundlage der Ernährung der Bauern, sondern als Grundlage der Steuerleistung, er war nicht eine Wohltat, auf die der einzelne Bauernhof Anspruch hatte, sondern er war Pflicht, die jedem Mitglied von der Gemeinde als Staatsdienst auf gedrungen wurde. Nichts Originelleres deshalb als eine russische Dorfversammlung, bei der die Boden-

Nächste Seite »



[1] Siehe [W. G.] Trirogow: [Obstsehina i podat, St. Petersburg 1882], S. 49. – [Fußnote im Original]

[2] Die erste „Revision”, die durch einen Ukas Peters 1719 durchgeführt wurde, war organisiert wie eine Art Strafexpedition im feindlichen Lande. Das Militär war beauftragt, säumige Gouverneure in Eisen zu legen, in ihren eigenen Kanzleien in Haft zu setzen und so lange dort zu halten, „bis sie sich besserten”. Die Popen, denen die Ausführung der Bauernlisten aufgetragen war und die dabei die Unterschlagung von „Seelen” durchgehen ließen, sollten ihres Amtes enthoben und „nach schonungsloser Züchtigung auf den Körper der Zuchthausstrafe unterworfen werden, sei auch einer in hohem Alter”. Leute, die der Verheimlichung von „Seelen” verdächtig waren, wurden der Folter unterworfen. Die späteren „Revisionen” wurden noch lange ebenso blutig, wenn auch mit abnehmender Strenge durchgeführt. – [Fußnote im Original]