sen, der jahrzehntelang um den Ursprung der russischen bäuerlichen Feldgemeinschaft geführt wurde. Es war nur natürlich und stimmt ganz mit der allgemeinen, dem Urkommunismus feindlichen Gesinnung der heutigen bürgerlichen Wissenschaft überein, daß die „Entdeckung“ des russischen Professors Tschitscherin aus dem Jahre 1858, wonach die Feldgemeinschaft in Rußland gar nicht ein ursprüngliches historisches Produkt, sondern ein künstliches Produkt der fiskalischen Politik des Zarismus gewesen sein soll, bei den deutschen Gelehrten willige Aufnahme und Zustimmung fand.[1] Tschitscherin, der wieder einmal den Beweis liefert, daß die liberalen Gelehrten als Historiker meist viel untauglicher sind als ihre reaktionären Kollegen, nimmt noch für die Russen die seit Maurer für Westeuropa definitiv aufgegebene Theorie der Einzelsiedelungen an, aus denen erst im 16. und 17. Jahrhundert die Gemeinden entstanden sein sollen. Dabei leitet Tschitscherin die gemeinsame Feldwirtschaft und den Flurzwang aus der Gemengelage der Feldstreifen, den gemeinsamen Bodenbesitz aus Grenzstreitigkeiten, die öffentliche Gewalt der Markgenossenschaft aus der fiskalischen Solidarhaft für die im 16. Jahrhundert eingeführte Kopfsteuer ab, stellt also so ziemlich alle historischen Zusammenhänge, Ursache und Wirkung höchst liberal auf den Kopf.
Wie man aber auch über die Altertümlichkeit und den Ursprung der bäuerlichen Feldgemeinschaft in Rußland denken mag, jedenfalls überdauerte sie die ganze lange Geschichte der Leibeigenschaft und auch ihre Abstreifung bis in die letzten Zeiten hinein. Uns interessieren hier nur ihre Schicksale im 19. Jahrhundert.
Als Zar Alexander II. seine sogenannte „Bauernbefreiung“ durchführte, wurde den Bauern – ganz nach preußischem Muster – ihr eigenes Land von den Herren verkauft, wobei diese für die schlechtesten Teile der angeblichen Herrengüter vom Fiskus in Wertpapieren reichlich abgefunden und auf das den Bauern „verliehene“ Land eine Schuld im Betrage von [900 Millionen Rubel] gelegt wurde, die mit jährlichen Ablösungsraten von 6 Prozent binnen 49 Jahren an den Fiskus zu tilgen war. Dieses Land wurde aber nicht wie in Preußen einzelnen Bauernfamilien in Privateigentum, sondern ganzen Gemeinden als unveräußerliches und unverpfändbares Gemeineigentum zugewiesen. Für die Ablösungsschuld wie für sämtliche Steuern und Abgaben hafteten die Gemeinden solidarisch und waren in der Veranlagung unter ihre einzelnen Mitglieder frei. In dieser
[1] [Siehe] Engels in „Internationales aus dem ,Volksstaat‘“. [Friedrich Engels: Nachwort (1894) (zu „Soziales aus Rußland”). In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 18, S. 663–674.) Hingegen Eduard Meyer: Die neue Auflage des Handwörterbuchs. Plechanow und die russische Sozialdemokratie. – So im Original.