Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 669

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Übrigens war das Los der Indianer in den spanischen Kolonien durch diesen Umschwung noch durchaus nicht gebessert. Es war nur ein anderes Kolonisationssystem an Stelle des früheren getreten. Statt der Repartimientos, die auf direkte Sklaverei der Bevölkerung eingerichtet waren, führte man die sogenannte „Encomiendas“ ein.[1] Formell wurde dabei den Einwohnern persönliche Freiheit und volles Eigentum am Grund und Boden zuerkannt. Nur wurden die Gebiete unter die administrative Leitung der spanischen Kolonisten, vor allem der Nachkommen der ersten Konquistadores, der Eroberer, gestellt, die als Encomenderos über die für unmündig erklärten Indianer Vormundschaft führen und namentlich auch das Christentum unter ihnen verbreiten sollten. Zur Deckung der Kosten des Kirchenbaues für die Eingeborenen sowie auch zur Entschädigung für die eigene Mühewaltung bei dem Amt der Vormundschaft erhielten die Encomenderos gesetzlich das Recht, „mäßige Geld- und Naturalabgaben“ von der Bevölkerung zu fordern. Diese Bestimmungen genügten, um die Encomiendas bald für die Indianer zur Hölle zu machen. Grund und Boden wurde ihnen freilich belassen, und zwar als ungeteiltes Eigentum der Stämme. Allein darunter verstanden oder wollten verstehen die Spanier nur das Ackerland, das unter dem Pfluge war. Die ungeteilte Mark sowie unbenutzte Ländereien, ja häufig selbst die unter Brache gelassenen Fluren wurden als „wüstes Land“ von den Spaniern an sich gerissen. Und das mit solcher Gründlichkeit und Schamlosigkeit, daß Zurita darüber schreibt: „Es gibt nicht eine Bodenparzelle, nicht eine Farm, die nicht als Eigentum der Europäer erklärt worden wäre, ungeachtet der Beeinträchtigung der Interessen und der Eigentumsrechte der Eingeborenen, die auf diese Weise gezwungen werden, die von ihnen seit uralten Zeiten bewohnten Gebiete zu verlassen. Nicht selten nimmt man ihnen selbst bebaute Ländereien unter dem Vorwande, sie hätten sie nur zu dem Behufe besät, um die Aneignung durch die Europäer zu verhindern. Dank diesem System haben die Spanier in einigen Provinzen ihren Besitz so ausgedehnt, daß den Eingeborenen gar kein Land mehr zum Bebauen übrigbleibt.“[2] Zugleich wurden die „mäßigen“ Abgaben von den spanischen Encomenderos so schamlos gesteigert, daß die Indianer unter ihrer Last erdrückt wurden. „Das ganze Hab und Gut des Indianers“, sagt derselbe Zurita, „reicht nicht aus, um die auf ihn gelegten Steuern zu entrichten. Man begegnet vielen Leuten unter den Rothäuten, deren

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[1] Randnotiz R. L.: Hier Verh. wie in Indien, Algerien (Rußl.), Java etc.

[2] Zurita, S. 57–59, zit. nach: [Maxim] Kowalewski: [Obstschinnoje semlewladenije, pritschini, chod i podaledstwija jego rasloshenije, Teil 1, Moskau 1879], S. 62. – [Fußnote im Original]