Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 665

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tige Seite im Wesen der primitiven Gesellschaftsform enthüllt und zugleich eine bestimmte historische Methode ihres Untergangs aufgezeigt. Eine andere Wendung in den Schicksalen dieser Gesellschaftsform wird sich vor uns zeigen, wenn wir das weitere Kapitel in der Geschichte der Peru-Indianer wie der sonstigen spanischen Kolonien in Amerika verfolgen. Hier tritt uns vor allem eine ganz neue Methode der Eroberung [entgegen], von der zum Beispiel die Inkaherrschaft nichts Ähnliches kennt: Die Herrschaft der Spanier als der ersten Europäer in der Neuen Welt begann sogleich mit einer unbarmherzigen Ausrottung der unterworfenen Bevölkerung. Nach eigenen Zeugnissen der Spanier selbst erreicht die Zahl der Indianer, die von ihnen binnen weniger Jahre nach der Entdeckung Amerikas ausgerottet worden sind, 12–15 Millionen. „Wir sehen uns berechtigt zu behaupten“, sagt Las Casas, „daß die Spanier durch ihre ungeheuerliche und unmenschliche Behandlung 12 Millionen Menschen ausgerottet haben, darunter Frauen und Kinder; nach meiner persönlichen Meinung“, sagt er weiter, „übertrifft die Zahl der in dieser Zeit dahingerafften Eingeborenen selbst 15 Millionen.“[1] „Auf der Insel Haiti“, sagt Handelmann, „belief sich die Zahl der von den Spaniern vorgefundenen Eingeborenen im Jahre 1492 auf 1 Million, im Jahre 1508 sind von dieser millionenköpfigen Bevölkerung nur 60 000 übriggeblieben und neun Jahre später nur noch 14 000, so daß die Spanier, um die nötige Zahl von Arbeitshänden zu haben, zur Einfuhr von Indianern aus benachbarten Inseln greifen mußten. Im Jahre 1508 allein wurden auf die Insel Haiti transportiert und in Sklaven verwandelt 40 000 Eingeborene von den Bahama-Inseln.“[2] Die Spanier machten regelrechte Jagd auf die Rothäute, die uns von einem Augenzeugen und Teilnehmer, dem Italiener Girolamo Benzoni, beschrieben worden ist. „Teils vor Nahrungsmangel, teils var Kummer infolge der Trennung von ihren Vätern, Müttern und Kindern“, sagt Benzoni nach einer solchen Jagd auf der Insel Kumagna, in der 4000 Indianer gefangengenommen wurden, „war der größte Teil der versklavten Eingeborenen auf dem Wege zum Hafen Kumani gestorben. Jedesmal, wo diese oder jene von den Sklaven vor Müdigkeit nicht imstande waren, ebenso schnell zu marschieren wie ihre Kameraden, durchbohrten sie die Spanier, vor Angst, daß sie zurückbleiben und einen Rückenangriff ausführen möchten, mit ihren Dolchen von hinten und ermordeten sie unmenschlich. Es war ein herzzerreißender Anblick, diese

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[1] Brevissima Relación de la destruycion de las Indias, Sevilla 1552, zit. bei: [Maxim] Kowalewski: [Obstschinnoje semlewladenije, pritschini, chod i podaledstwija jego rasloshenije, Teil 1, Moskau 1879, S. 47]. – [Fußnote im Original]

[2] Heinrich Handelmann: Geschichte der Insel Hayti, Kiel 1856, S. 6. – [Fußnote im Original]