Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 659

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richteten, lebten selbst in Geschlechtsverbänden und markgenossenschaftlichen Verhältnissen. Ihr Hauptsitz, die Stadt Cuzco, war nichts anderes als die Zusammenfassung von anderthalb Dutzend Massenquartieren, jedes der Sitz eines kommunistischen Haushalts des ganzen Geschlechts mit einem gemeinsamen Begräbnisplatz im Innern, also auch einem gemeinsamen Kultus. Um diese großen Sippenhäuser herum lagen die Markgebiete der Inkageschlechter mit ungeteilten Wäldern und Weiden und geteiltem Ackerland, das gleichfalls gemeinschaftlich bearbeitet wurde. Als primitives Volk hatten diese Ausbeuter und Herrscher nämlich der Arbeit noch nicht entsagt, sie gebrauchten ihre Herrscherstellung nur dazu, besser zu leben als die Beherrschten und ihrem Kultus reichlichere Opfer darzubringen. Die moderne Kunst, sich ausschließlich von fremder Arbeit ernähren zu lassen und die eigene Nichtarbeit zum Attribut der Herrschaft zu machen, war dem Wesen dieser Gesellschaftsorganisation, in der Gemeineigentum und allgemeine Arbeitspflicht tiefgewurzelte Volkssitte waren, noch fremd. Auch die Ausübung der politischen Herrschaft wurde als gemeinsame Funktion der Inkageschlechter organisiert. Die in die Provinzen Perus gesetzten Inkaverwalter, in ihrem Amte dem holländischen Residenten auf dem Malaiischen Archipel analog, wurden als Delegierte ihrer Geschlechter in Cuzco betrachtet, wo sie im Massenquartier den Wohnsitz beibehielten und an der eigenen Mark partizipierten. Alljährlich kehrten diese Delegierten zum Sonnenfest nach Cuzco heim, um Rechenschaft von ihrer Amtsleitung abzulegen und mit ihren Stammesgenossen das große religiöse Fest zu feiern.

Hier haben wir also vor uns gewissermaßen zwei übereinandergelagerte soziale Schichten, die, beide kommunistisch im Innern organisiert, zueinander in einem Verhältnis der Ausbeutung und Knechtung standen. Dieses Phänomen mag auf den ersten Blick unbegreiflich, weil mit den Prinzipien der Gleichheit, Brüderlichkeit und Demokratie, die der Organisation der Markgenossenschaft zur Basis dienten, im schroffsten Widerspruch erscheinen. Aber hier gerade haben wir einen lebendigen Beweis dafür, wie wenig die urkommunistischen Einrichtungen in Wirklichkeit mit irgendwelchen Prinzipien von allgemeiner Gleichheit und Freiheit der Menschen zu tun hatten. Diese in ihrer sich wenigstens auf die „zivilisierten“ Länder, das heißt auf Länder der kapitalistischen Kultur, erstreckenden allgemeinen Gültigkeit, sich auf den abstrakten „Menschen“, also auf alle Menschen beziehenden „Prinzipien“ sind erst spätes Produkt der neuzeitlichen bürgerlichen Gesellschaft, deren Revolutionen – in Amerika wie in Frankreich – sie auch zum erstenmal proklamiert haben. Die urkommu-

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