Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 655

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dasselbe hinauskommt, weil sie in der Hauptsache nicht der Landwirtschaft oblagen, diese aber stand damals im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Lebens, um sie drehte sich das öffentliche Leben, Rechte und Pflichten der Markgenossen.[1] In die Markgenossenschaft konnte deshalb nicht jeder hineindringen. Zur Niederlassung für Fremde mußte die Erlaubnis von allen Markgenossen einstimmig erteilt werden. Und veräußern durfte jeder sein Losgut nur an einen Markgenossen, nicht an Fremde, und nur vor dem Gerichte der Mark.

An der Spitze der Markgenossenschaft stand der Dorfgraf oder Schultheiß, anderswo Markmeister und Centener genannt. Zu seinem Oberamt wurde er von den Mitmärkern gewählt. Diese Wahl war nicht bloß Ehre, sondern auch Pflicht für den Gewählten; bei Strafe durfte man die Wahl nicht ablehnen. Mit der Zeit sollte das Amt des Markvorstehers freilich in bestimmten Familien erblich werden, und dann war nur ein Schritt dazu, daß dieses Amt auch – wegen seiner Macht und Einkünfte – käuflich wurde, zu Lehen vergeben werden konnte, sich überhaupt aus einem rein demokratischen Amt der Gemeindewahl in ein Werkzeug der Herrschaft über die Gemeinde wandelte. In der Blütezeit der Markgenossenschaft jedoch war der Markvorsteher nichts anderes als Willensvollstrecker der Gesamtheit. Alle gemeinsamen Angelegenheiten wurden von der Versammlung aller Markgenossen geregelt, auch Streitigkeiten geschlichtet und Strafen verhängt. Die gesamte Ordnung der landwirtschaftlichen Arbeiten, Wege und Bauten, Feld- und Dorfpolizei wurde durch die Mehrheit der Versammlung beschlossen, ihr wurden auch Rechnungen aus den „Märkerbüchern“, die über die Markwirtschaft geführt werden mußten, abgelegt. Markfriede und Markgerichtsbarkeit wurde unter dem Vorsitz des Markvorstehers von den umstehenden Genossen (dem „Gerichtsumstand“) als Urteilsfindern mündlich und öffentlich ausgeübt; nur Märker durften bei dem Gericht zugegen sein, Fremden war der Zutritt verwehrt. Die Märker waren verpflichtet, füreinander Zeuge und Eidhelfer zu sein, wie sie überhaupt die Pflicht hatten, einander in jeder Not, bei Feuersbrunst, bei feindlichem Überfall treu und brüderlich beizustehen. Im Heere bildeten die Märker eigene Abteilungen und fochten nebenein-

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[1] Genau dieselbe Stellung nahm der Handwerker in der griechischen Gemeinde der homerischen Zeit ein: „Alle diese Leute (Metallarbeiter, Zimmermann, Spielmann, Arzt – R. L.) sind Demiurgoi (von Demos = Volk – R. L.), d. h„ sie arbeiten für die Angehörigen der Gemeinde, nicht für sich selbst, sie sind persönlich frei, aber sie gelten nicht für voll, sie stehen unter den eigentlichen Gemeindeangehörigen, den kleinen Bauern. Vielfach sind sie nicht seßhaft, sie ziehen von Ort zu Ort oder werden auch, wenn sie einen Namen haben, von weither gerufen.” (Ed. Meyer: Die wirtschaftliche Entwickelung des Altertums [Jena 1895], S. 17.) – [Fußnote im Original]