Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 648

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meinen Zunft- und Stadtregeln – produzierte, verkaufte und konsumierte. Aber auch im ganzen bildete die mittelalterliche Zunftstadt in Deutschland oder in Frankreich kein „abgeschlossenes“ Wirtschaftsgebiet, denn ihre Existenz war gerade auf den gegenseitigen Austausch mit dem platten Lande gestützt, von dem sie Nahrungsmittel und Rohstoffe bezog und für das sie gewerbliche Produkte verfertigte. Bücher konstruiert sich um jede Stadt einen geschlossenen Umkreis des platten Landes, den er in seine „Stadtwirtschaft“ einschließt, indem er bequemlichkeitshalber den Austausch zwischen Stadt und Land nur zum Austausch mit Bauern der nächsten Umgebung reduziert. Die Fronhöfe der reichen Feudalherren, die die besten Kunden des städtischen Handels waren und die teils weit von der Stadt auf dem Lande zerstreut, teils mitten in der Stadt – namentlich in den kaiserlichen und bischöflichen Städten – ihren Hauptsitz hatten, hier aber ein eigenes Wirtschaftsgebiet bildeten, läßt er ganz außer Betracht, ebenso wie er vom auswärtigen Handel, der für die mittelalterlichen Wirtschaftsverhältnisse und namentlich für die Schicksale der Städte die größte Bedeutung hatte, ganz absieht. Das wirklich Charakteristische aber für die mittelalterlichen Städte: daß sie Mittelpunkte der Warenproduktion waren, die hier zum erstenmal zur herrschenden Produktionsform – wenn auch auf beschränktem Territorium – geworden war, beachtet Professor Bücher nicht. Umgekehrt beginnt bei ihm die Warenproduktion erst in der „Volkswirtschaft“ – bekanntlich pflegt die bürgerliche Nationalökonomie mit dieser Fiktion das gegenwärtige kapitalistische Wirtschaftssystem zu bezeichnen, also eine „Stufe“ des Wirtschaftslebens, für die es gerade charakteristisch ist, daß sie eben nicht Warenproduktion, sondern kapitalistische Produktion ist. Grosse nennt die Warenproduktion schlechthin „Industrie“, dafür verwandelt Professor Bücher Industrie schlechthin in „Warenproduktion“, um die Überlegenheit eines Ökonomieprofessors über einen simplen Soziologen zu beweisen.

Doch wenden wir uns von diesen Nebensächlichkeiten zur Hauptfrage. Professor Bücher stellt als erste „Stufe“ seiner Wirtschaftsgeschichte die „geschlossene Hauswirtschaft“ auf. Was versteht er darunter? Wir haben bereits erwähnt, daß diese Stufe mit der ackerbauenden Dorfgemeinschaft beginnt. Aber außer der primitiven Markgenossenschaft zählt Professor Bücher zur Stufe der „geschlossenen Hauswirtschaft“ noch andere historische Formen, nämlich die antike Sklavenwirtschaft der Griechen und Römer und den mittelalterlichen feudalen Fronhof. Die gesamte Wirtschaftsgeschichte der Kulturmenschheit, von der grauen Vorzeit einschließlich des klassischen Altertums und des ganzen Mittelalters bis an die

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