Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 647

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europäischen Völker, wo sie sich mit hinreichender Genauigkeit historisch verfolgen läßt, in drei Stufen zu teilen:

1. die Stufe der geschlossenen Hauswirtschaft (reine Eigenproduktion, tauschlose Wirtschaft), auf welcher die Güter in derselben Wirtschaft verbraucht werden, in der sie entstanden sind;

2. die Stufe der Stadtwirtschaft (Kundenproduktion oder Stufe des direkten Austausches), auf welcher die Güter aus der produzierenden Wirtschaft unmittelbar in die konsumierende übergehen;

3. die Stufe der Volkswirtschaft (Warenproduktion, Stufe des Güterumlaufs), auf welcher die Güter in der Regel eine Reihe von Wirtschaften passieren müssen, ehe sie zum Verbrauch gelangen.“[1]

Dieses Schema der Wirtschaftsgeschichte ist zunächst durch das interessant, was es nicht enthält. Für Professor Bücher beginnt die Wirtschaftsgeschichte mit der Markgenossenschaft der europäischen Kulturvölker, also bereits mit dem höheren Ackerbau. Die ganze jahrtausendelange Zeitstrecke der primitiven Produktionsverhältnisse, die dem höheren Ackerbau vorausgingen, Verhältnisse, in denen sich jetzt noch zahlreiche Völkerschaften befinden, charakterisiert Bücher, wie wir wissen, als „Nichtwirtschaft“, als Periode seiner famosen „individuellen Nahrungssuche“ und der „Nichtarbeit“. Die Wirtschaftsgeschichte beginnt Professor Bücher somit mit jener spätesten Form des Urkommunismus, in der mit der Ansässigkeit und dem höheren Ackerbau bereits die Ansätze der unvermeidlichen Zersetzung und des Übergangs zur Ungleichheit, Ausbeutung und Klassengesellschaft gegeben sind. Grosse bestreitet den Kommunismus in der ganzen Entwicklungsperiode vor der ackerbauenden Markgenossenschaft, Bücher streicht jene Periode überhaupt aus der Wirtschaftsgeschichte.

Die zweite Stufe der „geschlossenen Stadtwirtschaft“ ist eine andere epochemachende Entdeckung, die wir dem „genialen Blick“ des Leipziger Professors verdanken, wie Schurtz sagen würde. Wenn die „geschlossene Hauswirtschaft“ zum Beispiel einer Markgenossenschaft dadurch charakterisiert war, daß sie einen Kreis von Personen umschloß, die alle ihre ökonomischen Bedürfnisse innerhalb dieser Hauswirtschaft befriedigten, so ist in der mittelalterlichen Stadt Mittel- und Westeuropas – denn diese nur versteht Bücher unter seiner „Stadtwirtschaft“ – gerade das Gegenteil der Fall. In der mittelalterlichen Stadt gibt es nicht irgendeine gemeinsame „Wirtschaft“, sondern – um im eigenen Jargon des Professors Bücher zu reden – ebensoviel „Wirtschaften“ wie Werkstätten und Haushaltungen der Zunfthandwerker, von denen jede für sich – wenn auch unter allge-

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[1] [Karl] Bücher: Die Entstehung der Volkswirtschaft. [Vorträge und Versuche, Tübingen 1906], S. 91. – [Fußnote im Original]