Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 646

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„Die erste Frage“, sagt er, „welche sich der Nationalökonom zu stellen hat, der die Wirtschaft eines Volkes in einer weit zurückliegenden Epoche verstehen will, wird die sein: Ist die Wirtschaft Volkswirtschaft; sind ihre Erscheinungen wesensgleich mit derjenigen unserer heutigen Verkehrswirtschaft, oder sind beide wesentlich voneinander verschieden? Diese Frage aber kann nur beantwortet werden, wenn man es nicht verschmäht, die ökonomischen Erscheinungen der Vergangenheit mit denselben Mitteln der begrifflichen Zergliederung, der psychologisch-isolierenden Deduktion zu untersuchen, die sich an der Wirtschaft der Gegenwart in den Händen der Meister der alten ,abstrakten‘ Nationalökonomie so glänzend bewährt haben.

Man wird der neueren ,historischen‘ Schule den Vorwurf nicht ersparen können, daß sie, anstatt durch derartige Untersuchungen in das Wesen früherer Wirtschaftsepochen einzudringen, fast unbesehen die gewohnten, von den Erscheinungen der modernen Volkswirtschaft abstrahierten Kategorien auf die Vergangenheit übertragen oder daß sie an den verkehrswirtschaftlichen Begriffen so lange herumgeknetet hat, bis sie wohl oder übel für alle Wirtschaftsepochen passend erschienen ... Nirgends ist dies deutlicher zu erkennen als an der Art, wie man die Unterschiede der gegenwärtigen Wirtschaftsweise der Kulturvölker gegenüber der Wirtschaft vergangener Epochen oder kulturarmer Völker charakterisiert. Es geschieht das durch die Aufstellung sogenannter Entwicklungsstufen, in deren Bezeichnung man schlagwortartig die Grundzüge des wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklungsganges zusammenfaßt ... Alle älteren derartigen Versuche leiden an dem Übelstande, daß sie nicht in das Wesen der Dinge hineinführen, sondern an der Oberfläche haftenbleiben.“[1]

Welche Einteilung der Wirtschaftsgeschichte schlägt nun Professor Bücher vor? Hören wir zu.

„Wollen wir diese ganze Entwicklung unter einem Gesichtspunkte begreifen, so kann dies nur ein Gesichtspunkt sein, der mitten hineinführt in die wesentlichen Erscheinungen der Volkswirtschaft, der uns aber auch zugleich das organisatorische Moment der früheren Wirtschaftsperioden aufschließt. Es ist dies kein anderer als das Verhältnis, in welchem die Produktion der Güter zur Konsumtion derselben steht, erkennbar an der Länge des Weges, welchen die Güter vom Produzenten bis zum Konsumenten zurücklegen. Unter diesem Gesichtspunkte gelangen wir dazu, die gesamte wirtschaftliche Entwicklung, wenigstens für die zentral- und west-

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[1] [Karl] Bücher: Die Entstehung der Volkswirtschaft. [Vorträge und Versuche, Tübingen 1906], S. 86–88. – [Fußnote im Original]