Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 632

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/632

sprünglichen System jagten[1] und töteten die Känguruh-Männer – wenn wir nicht irren – Känguruhs ebensogut zum Nutzen aller übrigen Totemgruppen wie zu ihrem eigenen, und so mag es mit dem Raupentotem, dem Falkentotem und den übrigen gestanden haben. Unter dem neuen System (in der religiösen Form – R. L.), nach welchem den Männern das Töten und Essen der Totemtiere verboten wurde, fuhren die Känguruh-Männer fort, Känguruhs zu produzieren, doch nicht mehr zu eigenem Gebrauch; die Emu-Männer fuhren fort mit der Vermehrung der Emus, obwohl sie selbst vom Emu-Fleisch nichts mehr genießen durften; die Raupen-Männer setzten ihre Zauberkünste zur Fortpflanzung der Raupen fort, wenn auch diese Leckerbissen nunmehr für andere Mägen bestimmt waren.“[2] Mit einem Wort: Was uns heute als ein Kultsystem entgegentritt, war schon in uralten Zeiten ein einfaches System der organisierten gesellschaftlichen Produktion mit weitgehender Arbeitsteilung. – Wenden wir uns jetzt an die Verteilung der Produkte bei den Australnegern, so finden wir ein womöglich noch ausführlicheres und komplizierteres System. Jedes gejagte Stück Wild, jedes gefundene Vogelei, jede gesammelte Handvoll Früchte wird nach ganz festen Regeln planmäßig diesen oder jenen Gliedern der Gesellschaft zur Konsumtion zugewiesen. Was zum Beispiel von den Weibern an pflanzlicher Nahrung gesammelt wird, gehört ihnen und ihren Kindern. Die Jagdbeute der Männer wird verteilt nach Regeln, die in jedem Stamme anders, die aber bei allen Stämmen äußerst eingehend sind. So zum Beispiel beobachtete der englische Gelehrte Howitt, der die Völkerschaften im Südosten Australiens, hauptsächlich im Gebiete Victoria, beobachtete, folgende Verteilungsart:

„Ein Mann tötet ein Känguruh in einer gewissen Entfernung vom Lager. Zwei andere Männer sind in seiner Begleitung, doch kommen sie nicht mehr dazu, ihm bei der Tötung des Tieres beizustehen. Die Entfernung vom Lager ist beträchtlich, weshalb das Känguruh gebraten wird, bevor es heimgetragen wird. Der erste Mann zündet ein Feuer an, und die beiden andern zerschneiden das Wild, die drei braten die Eingeweide und essen sie. Die Verteilung geschieht folgendermaßen: Die Männer Nr. 2 und 3 erhalten einen Schenkel und den Schweif und einen Schenkel mit einem Teil der Hüfte, weil sie zugegen waren und bei der Zerteilung mithalfen. Der Mann Nr. 1 behält das übrige und trägt es ins Lager. Den Kopf und Rücken trägt sein Weib zu ihren Eltern, das übrige kommt zu

Nächste Seite »



[1] In der Quelle: machten.

[2] Zit. nach: Felix Somló: Der Güterverkehr in der Urgesellschaft, Briussel, Leipzig, Paris 1909, S. 61 f.