Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 630

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/630

im Lager, so wird er von den anderen verhöhnt und beschimpft. Männer, Weiber und Kinder verlassen das Lager am frühen Morgen, um Nahrung zu suchen. Nachdem sie genügend gejagt haben, tragen Männer und Weiber ihre Beute zur nächsten Wassergrube, wo Feuer gemacht und das Wild gebraten wird. Männer, Weiber und Kinder essen alle freundschaftlich zusammen, nachdem die Alten die Nahrung unter alle gleich verteilt haben. Nach dem Mahl tragen die Weiber die Reste ins Lager, und die Männer jagen unterwegs.“[1]

Nun aber Näheres über den Plan der Produktion bei den Australnegem. Dieser ist nämlich außerordentlich kompliziert und bis ins einzelne ausgearbeitet. Jeder australische Stamm zerfällt in eine Anzahl Gruppen, von denen jede nach einem Tier oder einer Pflanze benannt ist, die sie verehrt, und ein abgegrenztes Stück Gebiet innerhalb des Stammesgebiets besitzt. Ein gewisses Gebiet gehört also zum Beispiel den Känguruh-Männern, ein anderes den Emu-Männern (Emu ist ein großer Vogel, ähnlich dem Strauß), ein drittes den Schlangen-Männern (die Australneger verspeisen auch Schlangen) usw. Diese „Totems“ sind nach der Erklärung der neuesten wissenschaftlichen Forschungen, wie wir bereits früher in einem anderen Zusammenhang erwähnt haben, fast lauter Tiere und Pflanzen, die den Australnegern zur Nahrung dienen. Jede solche Gruppe hat ihren Häuptling, der die Jagd anführt und leitet. Der Tier- oder Pflanzenname und der entsprechende Kult sind nun keine leere Form: Jede einzelne Gruppe der Australneger ist tatsächlich verpflichtet, die tierische oder pflanzliche Kost ihres Namens zu besorgen, für Bestand und Nachwuchs dieser Nahrungsquelle Sorge zu tragen. Und zwar tut dies jede Gruppe nicht für sich, sondern vor allem für die anderen Gruppen des Stammes. So zum Beispiel sind die Känguruh-Männer verpflichtet, Känguruhfleisch für die übrigen Stammesgenossen zu besorgen, die Schlangen-Männer, Schlangen zu beschaffen, die Raupen-Männer, eine gewisse Raupe, die als Delikatesse gilt, zu sichern usw. Bezeichnenderweise ist all dies mit strengen religiösen Gebräuchen und großen Zeremonien verbunden. So ist zum Beispiel fast allgemeine Regel, daß die Leute jeder Gruppe ihr eigenes Totemtier oder ihre eigene -pflanze nicht oder nur sehr mäßig essen dürfen, hingegen müssen sie sie für andere beschaffen. Ein Mann der Schlangengruppe muß sich zum Beispiel, wenn er eine Schlange erjagt – außer in großem Hunger –, von ihrem Genuß enthalten, sie hingegen ins Lager für die andern bringen. Ebenso wird ein Emu-Mann das Fleisch

Nächste Seite »



[1] Howitt, zit. nach: [Felix] Somló: [Der Güterverkehr in der Urgesellschaft, Brüssel, Leipzig, Paris 1909], S. 44 f. – [Fußnote im Original]