Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 626

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/626

redet, „heute noch“ bilde die russische Dorf gemeinde bei den 35 Millionen Großrussen einen Sippenverband mit Blutsverwandtschaft, eine „Familiengemeinschaft“, was . ungefähr so zutrifft wie etwa die Behauptung, die gesamte Einwohnerschaft Berlins bilde „heute noch“ eine große Familiengemeinschaft. Alles dies befähigt Grosse ganz besonders dazu, den „Kirchenvater der deutschen Sozialdemokratie“, Morgan, wie einen toten Hund zu behandeln.

Die obigen Proben der Grosseschen Behandlung der Familienformen und der Sippe geben eine Vorstellung davon, wie er die „Formen der Wirtschaft“ behandelt. Seine ganze gegen die Annahme des Urkommunismus gerichtete Beweisführung beruht auf lauter Zwar und Aber, wobei die nicht zu bestreitenden Tatsachen zwar zugegeben, ihnen aber andere so entgegengestellt werden, daß das Nichterwünschte verkleinert, das Erwünschte aufgebauscht und das Resultat dementsprechend zurechtgemacht wird.

Zwar berichtet Grosse selbst über die niederen Jäger: „Der individuale Besitz, der bei allen niederen Gesellschaften vornehmlich oder ausschließlich in der beweglichen Habe besteht, ist hier fast ganz bedeutungslos; der wertvollste Teil des Eigentums aber, der Jagdgrund, gehört allen Männern eines Stammes gemeinsam. Infolgedessen muß auch die Jagdbeute zuweilen unter sämtliche Mitglieder einer Horde verteilt werden. Dies wird zum Beispiel von den Botokuden berichtet (Ehrenreich: Über die Botocudes. In: Zeitschrift für Ethnologie, XIX, 31.) Auch in einigen Teilen Australiens bestehen ähnliche Bräuche. So sind und bleiben denn sämtliche Mitglieder einer primitiven Gruppe ungefähr gleich arm. Da es keine wesentlichen Vermögensunterschiede gibt, so fehlt eine Hauptquelle für die Entstehung von Stammesunterschieden. Im allgemeinen sind alle erwachsenen Männer innerhalb des Stammes gleichberechtigt.“[1] Desgleichen „hat die Sippenzugehörigkeit in einigen (!) Beziehungen wesentlichen Einfluß auf das Leben des niederen Jägers. Sie verleiht ihm das Recht, einen bestimmten Jagdgrund zu benutzen, und sie gibt ihm das Recht und die Pflicht des Schutzes und der Rache“ (S. 64). Desgleichen gibt Grosse die Möglichkeit eines Sippenkommunismus bei den niederen Jägern Zentralkaliforniens zu.

Aber trotzdem ist die Sippe hier lose und schwach, eine Wirtschaftsgemeinschaft gibt es nicht. „Die Produktionsweise der arktischen Jäger ist jedoch so durchaus individualistisch, daß der Sippenzusammenhang zen-

Nächste Seite »



[1] Ernst Grosse: Die Formen der Familie und die Formen der Wirtschaft, Freiburg i. B. u. Leipzig 1896. S. 38 f.