Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 625

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chen in krassem Widerspruch zu einigen allgemein anerkannten Tatsachen steht. Die Sippen sollen erst bei niederem Ackerbau Bedeutung erlangen; nun sind die Sippen meist mit dem Institut der Blutrache, mit religiösem Kultus und sehr häufig mit einer Tierbenennung verbunden; alle diese Dinge sind aber viel älter als der Ackerbau, müssen also nach der eigenen Theorie Grosses aus den Produktionsverhältnissen viel ursprünglicherer Kulturperioden ihre Macht ableiten. Grosse erklärt die Sippenordnung höherer Ackerbauer, wie der Germanen, Kelten, Inder, als ein Vermächtnis der Periode des niederen Ackerbaues, wo sie in der weiblichen Landwirtschaft wurzeln. Nun ist aber der höhere Ackerbau der Kulturvölker nicht aus dem weiblichen Hackbau, sondern aus der Viehzucht entstanden, die schon von den Männern betrieben wurde und wo folglich nach Grosse die Sippe gegenüber der patriarchalen Familienwirtschaft keine Bedeutung hatte. Nach Grosse ist die Sippenordnung bei den nomadisierenden Viehzüchtern bedeutungslos, erst mit der Ansiedelung und dem Ackerbau gewinnt sie für einige Zeit die Macht. Nach den angesehensten Forschern der Agrarverfassung aber verlief die tatsächliche Entwicklung in gerade umgekehrter Richtung: Solange die Viehzüchter eine nomadisierende Lebensweise führten, hatten die Gesthlechterverbände die größte Gewalt in jeder Hinsicht, mit der Seßhaftigkeit und dem Ackerbau beginnt der Sippenzusammenhang sich zu lockern und zurückzutreten gegenüber dem örtlichen Verband der Ackerbauer, deren Interessengemeinsamkeit stärker ist als die Tradition der Blutsbande, die Geschlechtsgemeinde verwandelt sich in die sogenannte Nachbargemeinde. Dies ist die Ansicht Ludwig von Maurers, Kowalewskis, Henry Maines, Laveleyes, dieselbe Erscheinung weist gegenwärtig Kaufman bei den Kirgisen und Jakuten Zentralasiens nach.

Zum Schluß sei noch erwähnt, daß Grosse für die wichtigsten Erscheinungen auf dem Gebiete der primitiven Familienverhältnisse, wie das Matriarchat (Mutterherrschaft), von seinem Standpunkte eingestandenermaßen nicht die geringste Erklärung zu geben weiß und sich darauf beschränkt, achselzuckend das Matriarchat für „die seltenste Kuriosität der Soziologie“ zu erklären; daß er sich zu der unglaublichen Behauptung versteigt, bei den Australiern hätten die Vorstellungen über Blutsverwandtschaft keinerlei Einfluß auf ihre Familiensysteme gehabt, zu der noch unglaublicheren, bei den alten Peruanern habe es keine Spur von Sippen gegeben, daß er über die Agrarverfassung der Germanen nach dem veralteten und unzuverlässigen Material Laveleyes urteilt und daß er endlich demselben Laveleye zum Beispiel die fabelhafte Behauptung nach-

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