Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 623

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/623

ren Ackerbaues – Einzelfamilie mit Männerherrschaft. Herr Grosse nimmt es, wie man sieht, mit seiner Verleugnung der modernen Entwicklungslehre ernst. Bei ihm gibt es eine Entwicklung der Familienformen überhaupt nicht. Die Geschichte beginnt und endet mit der Einzelfamilie und Männerherrschaft. Dabei merkt Grosse nicht, daß er, nachdem er großspurig die Entstehung der Familienformen aus den Produktionsformen zu erklären versprochen hat, die Familienform überhaupt schon als etwas Gegebenes, Fertiges, nämlich als die Einzelfamilie, als einen modernen Hausstand, voraussetzt und diese ganz unverändert unter allen Produktionsformen annimmt. Das, was er in Wirklichkeit als verschiedene „Familienformen“ im Wandel der Zeiten verfolgt, ist lediglich die eine Frage nach dem Verhältnis der Geschlechter zueinander. Männerherrschaft oder Frauenherrschaft – das ist nach Grosse die „Familienform“, die er somit in ganz harmonischer Weise ebenso roh auf ein äußeres Merkmal reduziert, wie er die „Produktionsform“ auf die Frage Jagd, Viehzucht oder Ackerbau versimpelt hat. Daß „Männerherrschaft“ oder „Frauenherrschaft“ Dutzende verschiedener Familienformen umfassen können, daß es innerhalb derselben Kulturstufe der „Jäger“ Dutzende verschiedener Verwandtschaftssysteme geben kann – das alles existiert für Herrn Grosse ebensowenig wie die Frage nach den gesellschaftlichen Verhältnissen innerhalb einer Produktionsart. Das gegenseitige Verhältnis der Familienformen und der Produktionsformen kommt dabei auf den folgenden geistreichen „Materialismus“ hinaus: Die beiden Geschlechter werden von vornherein als Geschäftskonkurrenten betrachtet. Wer die Familie ernährt, der herrscht auch in der Familie, meint der Philister und auch der bürgerliche Zivilkodex. Das Pech des weiblichen Geschlechts will aber, daß es nur einmal in der Geschichte ausnahmsweise – bei dem niedrigen Hackbau – Träger der Familienernährung war, aber auch dann mußte es meist vor dem kriegerischen männlichen Geschlecht den kürzeren ziehen. Und so ist die Geschichte der Familienform im Grunde genommen bloß eine Geschichte der Sklaverei der Frau, bei allen „Produktionsformen“ und trotz aller Produktionsformen. Der einzige Zusammenhang der Familienformen mit den Wirtschaftsformen ist dabei schließlich nur der leichte Unterschied zwischen etwas milderen und etwas härteren Formen der Männerherrschaft. Zum Schluß erscheint als die erste Erlösungsbotschaft in. der menschlichen Kulturgeschichte für die versklavte Frau – die christliche Kirche, die zwar nicht auf Erden, aber wenigstens im blauen Himmelsäther keinen Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern kennt. „Durch diese Lehre hat das Christentum der Frau eine Hoheit ver-

Nächste Seite »