Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 620

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/620

del liefern. Die peruanischen Viehzüchter, die vor der spanischen Invasion ihre Lamas in den Kordilleren kommunistisch unter der Inkaherrschaft hüteten, die arabischen Nomaden mit ihren patriarchalischen Herden in Afrika oder Arabistan, die heutigen Bauern in den Schweizer, Bayrischen oder Tiroler Alpen, die mitten in der kapitalistischen Welt ihre althergebrachten „Alpenbücher“ führen, die halbverwilderten römischen Sklaven, die im rauhen Apulien enorme Herden ihrer Herren hüteten, die Farmer, die im heutigen Argentinien für die Ohioer Schlachthäuser und Konservenfabriken zahllose Herden mästen – das sind alles Muster der „Viehzucht“, die ebenso viele total verschiedene Typen der Produktion und der Kultur darstellen. Endlich der „Ackerbau“ umfaßt eine so lange Skala verschiedenartigster Wirtschaftsweisen und Kulturstufen, von der uralten indischen Markgenossenschaft zum modernen Latifundium, von der bäuerlichen Zwergwirtschaft zum ostelbischen Rittergut, vom englischen Pachtsystem zur rumänischen Jobagie, von dem chinesischen bäuerlichen Gartenbau zur brasilianischen Plantage mit Sklavenarbeit, von dem weiblichen Hackbau auf Tahiti bis zur nordamerikanischen Bonanzafarm mit Dampf- und Elektrizitätsbetrieb, daß nur die glänzende Verständnislosigkeit für das, was wirkliche „Produktion“ bedeutet, in den großspurigen Offenbarungen des Herrn Grosse über die Bedeutung der Produktion geoffenbart wird. Gerade gegen diese Art groben und rohen „Materialismus“, der nur die äußeren Naturbedingungen der Produktion und der Kultur in Betracht zieht und der in dem englischen Soziologen Buckle seinen besten und erschöpfenden Ausdruck fand, wandten sich Marx und Engels. Nicht die äußere Naturquelle der Ernährung ist für die wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse der Menschen entscheidend, sondern die Beziehungen, in denen die Menschen zueinander bei ihrer Arbeit stehen. Die gesellschaftlichen Beziehungen der Produktion bestimmen die Frage: Welche Produktionsform herrscht bei einem gegebenen Volke? Nur wenn man diese Seite der Produktion gründlich erfaßt hat, kann man die bestimmenden Einflüsse der Produktion eines Volkes auf seine Familienverhältnisse, seine Rechtsbegriffe, seine religiösen Vorstellungen, seine Kunstentwicklung verstehen. Das Eindringen in die gesellschaftlichen Beziehungen bei der Produktion der sogenannten wilden Völker ist aber eine für die meisten europäischen Beobachter außerordentlich schwierige Sache. Im Gegensatz zu einem Herrn Grosse, der schon eine Welt zu wissen glaubt, wenn er nichts anderes weiß, als daß die Inkaperuaner ein ackerbautreibendes Volk waren, sagt ein ernster Gelehrter wie Sir Henry Maine: „Der charakteristische Irrtum der unmittelbaren Beobachter frem-

Nächste Seite »