Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 619

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rakter? „Die Wirtschaftsform, welche in einer sozialen Gruppe herrscht oder vorherrscht, die Art, auf welche sich die Glieder der Gruppe den Lebensunterhalt erwerben, ist eine Tatsache, welche sich direkt beobachten und in ihren Hauptzügen überall mit genügender Sicherheit feststellen läßt. Wir mögen über die religiösen und die sozialen Anschauungen der Australier noch so sehr im Zweifel sein; über den Charakter ihrer Produktion ist auch nicht der geringste Zweifel möglich: Die Australier sind Jäger und Pflanzensammler. Es ist vielleicht unmöglich, in die geistige Kultur der alten Peruaner einzudringen; aber die Tatsache, daß die Bürger des Inkareiches ein ackerbauendes Volk waren, liegt für jeden Blick offen.“[1]

Unter „Produktion“ und ihrem „Charakter“ versteht also Grosse einfach die jeweilige Hauptquelle der Ernährung des Volkes. Jagd, Fischerei, Viehzucht, Ackerbau – das sind jene „Produktionsverhältnisse“, die bestimmend auf alle übrigen Kulturverhältnisse eines Volkes einwirken. Hier muß man zunächst bemerken, daß, wenn es auf diese magere Entdeckung ankam, die Überhebung des Herrn Grosse über die „meisten Kulturhistoriker“ zum mindesten ganz unbegründet war. Die Erkenntnis, daß die Art der Hauptquelle, die dem gegebenen Volke zur Ernährung dient, von außerordentlicher Wichtigkeit für seine Kulturentwicklung ist, bildet nicht sowohl Herrn Grosses funkelnagelneue Entdeckung wie vielmehr ein uraltes, ehrwürdiges Inventarstück aller Gelehrten der Kulturgeschichte. Diese Erkenntnis hat ja gerade zu der landläufigen Einteilung der Völker in Jäger, Viehzüchter und Ackerbauer geführt, die in allen Kulturgeschichten wiederkehrt und die Herr Grosse selbst nach vielem Hin und Her schließlich doch selbst anwendet. Diese Erkenntnis ist aber nicht bloß ganz alt, sondern auch – in der platten Fassung, in der sie Grosse übernimmt – ganz falsch. Wissen wir lediglich, daß ein Volk von Jagd, Viehzucht oder Ackerbau lebt, so wissen wir von seinen Produktionsverhältnissen und von seiner sonstigen Kultur zunächst noch gar nichts. Die heutigen Hottentotten in Südwestafrika, denen die Deutschen ihre Herden und damit ihre bisherige Existenzquelle weggenommen und sie dafür mit modernen Flinten versehen haben, sind erzwungenermaßen wieder Jäger geworden. Die Produktionsverhältnisse dieses „Jägervolkes“ aber haben nicht das geringste gemein mit den indianischen Jägern Kaliforniens, die noch in ihrer primitiven Weltabgeschiedenheit leben, und die letzteren wieder sind sehr wenig ähnlich den Jägerkompanien Kanadas, die für amerikanische und europäische Kapitalisten gewerbsmäßig Tierfelle für den Rauchwarenhan-

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[1] [Ernst] Grosse: Die Anfänge der Kunst [Freiburg i. B. u. Leipzig 1894], S. 34. – [Fußnote im Original]