Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 611

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4. Die Gentilorganisation führt die gesellschaftliche Entwicklung an die Schwelle der Zivilisation, die Morgan somit als diejenige kurze jüngste Epoche der Kulturgeschichte charakterisiert, in der auf den Trümmern des Kommunismus und der alten Demokratie Privateigentum entsteht und mit ihm die Ausbeutung, eine öffentliche Zwangsorganisation: der Staat und die ausschließliche Herrschaft des Mannes über die Frau im Staate, im Eigentumsrecht und in der Familie. In diese verhältnismäßig kurze historische Periode fallen die größten und raschesten Fortschritte der Produktion, der Wissenschaft, der Kunst, aber auch die tiefste Zerklüftung der Gesellschaft durch Klassengegensätze, das größte Elend der Volksmassen und ihre größte Versklavung. Hier das eigene Urteil Morgans über unsere heutige Zivilisation, womit er die Ergebnisse seiner klassischen Untersuchung abschließt:

„Seit Eintritt der Zivilisation ist das Wachstum des Reichtums so ungeheuer geworden, seine Formen so verschiedenartig, seine Anwendung so umfassend und seine Verwaltung so geschickt im Interesse der Eigentümer, daß dieser Reichtum, dem Volk gegenüber, eine nicht zu bewältigende Macht geworden ist. Der menschliche Geist steht ratlos und gebannt da vor seiner eigenen Schöpfung. Aber dennoch wird die Zeit kommen, wo die menschliche Vernunft erstarken wird zur Herrschaft über den Reichtum, wo sie feststellen wird sowohl das Verhältnis des Staates zu dem Eigentum, das er schützt, wie die Grenzen der Rechte der Eigentümer. Die Interessen der Gesellschaft gehen den Einzelinteressen absolut vor, und beide müssen in ein gerechtes und harmonisches Verhältnis gebracht werden. Die bloße Jagd nach Reichtum ist nicht die Endbestimmung der Menschheit, wenn anders der Fortschritt das Gesetz der Zukunft bleibt, wie er es war für die Vergangenheit. Die seit Anbruch der Zivilisation verflossene Zeit ist nur ein kleiner Bruchteil der verflossenen Lebenszeit der Menschheit, nur ein kleiner Bruchteil der ihr noch bevorstehenden. Die Auflösung der Gesellschaft steht drohend vor uns als Abschluß einer geschichtlichen Laufbahn, deren einziges Endziel der Reichtum ist; denn eine solche Laufbahn enthält die Elemente ihrer eigenen Vernichtung. Demokratie in der Verwaltung, Brüderlichkeit in der Gesell-

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