Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 603

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wahrt, in dem schon im Zeitalter der großen Entdeckungen die spanischen Konquistadores die merkwürdigsten Einrichtungen vorgefunden hatten. Die unklare Kunde von diesem südamerikanischen Wunderlande drang schon im 17. und 18. Jahrhundert in die europäische Literatur, die Kunde von dem Inkareich, das die Spanier im heutigen Peru vorgefunden hatten und in dem unter der väterlichen theokratischen Regierung gütiger Despoten das Volk in völligem Gemeineigentum lebte. Die phantastischen Vorstellungen von dem sagenhaften Reich des Kommunismus in Peru haben sich so hartnäckig erhalten, daß noch 1875 ein deutscher Schriftsteller von dem Inkareich als von „einer in der Menschengeschichte fast einzig“ dastehenden sozialen, auf theokratischer Basis fußenden Monarchie reden konnte, in der „der größte Teil von dem, was die Sozialdemokraten, ideal aufgefaßt, in der Gegenwart erstreben, aber zu keiner Zeit erreicht haben“, praktisch durchgeführt war.[1] Inzwischen war jedoch genaueres Material über das merkwürdige Land und seine Sitten an die Öffentlichkeit getreten.

1840 war in der französischen Übersetzung ein wichtiger Originalbericht Alonzo Zuritas, des ehemaligen Auditors des Königlichen Rats in Mexiko, über die Verwaltung und die Agrarverhältnisse in den ehemaligen spanischen Kolonien der Neuen Welt erschienen. Und um die Mitte des 19. Jahrhunderts verstand sich auch die spanische Regierung dazu, die alten Urkunden über die Eroberung und Verwaltung der amerikanischen Besitzungen Spaniens aus den Archiven ans Licht hervorzuziehen. Damit kam ein neuer wichtiger urkundlicher Beitrag zu dem Material über die sozialen Zustände alter vorkapitalistischer Kulturstufen in überseeischen Ländern [zur Kenntnis].

Schon auf Grund der Berichte Zuritas kam der russische Gelehrte Maxim Kowalewski in den siebziger Jahren zu dem Ergebnis, das sagenhafte Inkareich in Peru sei nichts anderes gewesen als ein Land, in dem dieselben uralten agrarkommunistischen Verhältnisse herrschten, die bereits Maurer für die alten Germanen allseitig beleuchtet hatte und die nicht bloß in Peru, sondern auch in Mexiko, überhaupt auf dem ganzen von Spaniern eroberten neuen Weltteil die vorherrschende Form waren. Spätere Veröffentlichungen ermöglichten eine genaue Untersuchung der ehemaligen peruanischen Agrarverhältnisse und enthüllten ein neues Bild des primitiven ländlichen Kommunismus – wieder in einem neuen Weltteil, bei einer ganz anderen Rasse, auf einer ganz anderen Kulturstufe und

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[1] Angeführt bei [Heinrich] Cunow: [Die Soziale Verfassung des Inkareichs. Eine Untersuchung des altperuanischen Agrarkommunismus, Stuttgart 1896,1 S. 6. – [Fußnote im Original]