Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 602

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im Norden Afrikas genau dieselben Einrichtungen feststellten, die im Herzen Europas und auf dem asiatischen Kontinent vorgefunden wurden.

Bei den viehzüchtenden arabischen Nomaden war der Grund und Boden Eigentum der Geschlechter. Dieses Geschlechtseigentum, schrieb der französische Forscher Dareste im Jahre 1852, geht von Generation zu Generation, kein einzelner Araber kann auf ein Stück Land weisen und sagen: Dies ist mein.

Bei den Kabylen, die sich ganz arabisiert hatten, waren die Geschlech-terverbände bereits stark in einzelne Zweige zerfallen, doch blieb noch die Macht der Geschlechter groß: Sie hafteten solidarisch für Steuern, sie kauften gemeinsam Vieh ein, das zur Verteilung unter die Familienzweige als Nahrung bestimmt war, in allen Streitfragen um Bodenbesitz war der Geschlechterrat oberster Schiedsrichter, zur Ansiedlung in der Mitte der Kabylen war für jeden die Einwilligung der Geschlechter erforderlich, auch über unbebaute Ländereien verfügte der Rat der Geschlechter. Als Regel galt aber das ungeteilte Eigentum der Familie, die nicht im heutigen europäischen Sinne einen einzelnen Ehestand umfaßte, sondern eine typisch patriarchalische Familie war, wie sie uns von den alten Israeliten in der Bibel geschildert wird – ein großer Verwandtschaftskreis, der aus Vater, Mutter, Söhnen, deren Frauen, Kindern und Enkeln, Onkeln, Tanten, Neffen und Vettern bestand. In diesem Kreise, sagt ein anderer französischer Forscher, Letourneau, im Jahre 1873, verfügt gewöhnlich über das ungeteilte Eigentum das älteste Familienmitglied, das jedoch zu diesem Amt von der Familie gewählt wird und in allen wichtigeren Fällen, insbesondere über Verkauf und Ankauf des Grund und Bodens, den gesamten Familienrat befragen muß.

So beschaffen war die Bevölkerung Algeriens, als die Franzosen das Land zu ihrer Kolonie machten. Genau wie England in Indien erging es also Frankreich in Nordafrika. Überall stieß die europäische Kolonialpolitik auf den zähen Widerstand uralter Gesellschaftsverbände und ihrer kommunistischen Einrichtungen, die den einzelnen vor den Ausbeutungsgriffen des europäischen Kapitals und der europäischen Finanzpolitik schützten.

Gleichzeitig mit diesen neuen Erfahrungen kam eine alte halbvergessene Erinnerung aus den ersten Tagen der europäischen Kolonialpolitik und ihrer Beutezüge in die Neue Welt in ein ganz neues Licht. In den vergilbten Chroniken der spanischen Staatsarchive und Klöster war seit langen Jahrhunderten die seltsame Mär von einem Wunderlande Südamerikas be-

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