Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 591

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sozialistischen Bestrebungen auf. Hatten die französischen und englischen Klassiker der Nationalökonomie die Gesetze aufgefunden, nach denen die kapitalistische Wirtschaft lebt und sich entwickelt, so nahm Marx ihr Werk ein halbes Jahrhundert später genau dort auf, wo jene es abgebrochen hatten. Er deckte seinerseits auf, wie dieselben Gesetze der heutigen Wirtschaftsordnung auf ihren eigenen Untergang hinarbeiten, indem sie durch das Umsichgreifen der Anarchie immer mehr die Existenz der Gesellschaft bedrohen und zu einer Kette vernichtender wirtschaftlicher und politischer Katastrophen [sich] gestalten. Es. sind also, wie Marx nachgewiesen hat, die eigenen Entwicklungstendenzen der Kapitalsherrschaft, die auf einer gewissen Stufe ihrer Reife den Übergang zu einer planmäßigen, von der gesamten arbeitenden Gesellschaft bewußt organisierten Wirtschaftsweise notwendig machen, wenn die gesamte Gesellschaft und die menschliche Kultur nicht in den Konvulsionen der ungezügelten Anarchie ihren Untergang finden soll. Und diese Schicksalsstunde beschleunigt das herrschende Kapital selbst immer energischer, indem es seine künftigen Totengräber, die Proletarier, in immer größeren Massen zusammenführt, indem es sich über alle Länder der Erde ausbreitet, eine anarchische Weltwirtschaft herstellt und damit zugleich die Basis schafft für den Zusammenschluß des Proletariats aller Länder in einer revolutionären Weltmacht zur Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft. Damit hörte der Sozialismus auf, ein Projekt, eine schöne Phantasie oder auch ein Experiment einzelner Arbeitergruppen in jedem Lande auf eigene Faust zu sein. Als gemeinsames politisches Aktionsprogramm des internationalen Proletariats ist der Sozialismus eine historische Notwendigkeit, weil eine Frucht der ökonomischen Entwicklungstendenzen des Kapitalismus.

Es ist nun klar, weshalb Marx seine eigene ökonomische Lehre außerhalb der offiziellen Nationalökonomie gestellt, sie „eine Kritik der politischen Ökonomie“ genannt hat. Die von Marx entwickelten Gesetze der kapitalistischen Anarchie und ihres künftigen Untergangs sind freilich selbst nur eine Fortsetzung der Nationalökonomie, wie sie von den bürgerlichen Gelehrten geschaffen worden ist, aber eine Fortsetzung, die sich in ihren Schlußergebnissen in schärfsten Gegensatz zu den Ausgangspunkten jener setzt. Die Marxsche Lehre ist ein Kind der bürgerlichen Ökonomie, aber ein Kind, dessen Geburt die Mutter das Leben gekostet hat. In der Marxschen Theorie hat die Nationalökonomie ihre Vollendung, aber auch ihren Abschluß als Wissenschaft gefunden. Was weiter zu folgen hat, ist – außer dem Ausbau der Marxschen Lehre in Einzelheiten – nur noch die Umsetzung aieser Lehre in die Tat, das heißt der Kampf des inter-

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