Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 592

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nationalen Proletariats um die Verwirklichung der sozialistischen Wirtschaftsordnung. Der Ausgang der Nationalökonomie als Wissenschaft bedeutet so eine welthistorische Tat: ihre Umsetzung in die Praxis einer planmäßig organisierten Weltwirtschaft. Das letzte Kapitel der nationalökonomischen Lehre ist die soziale Revolution des Weltproletariats.

Der besondere Zusammenhang zwischen der Nationalökonomie und der modernen Arbeiterklasse erweist sich somit als ein gegenseitiges Verhältnis. Wenn einerseits die Nationalökonomie, so wie sie von Marx ausgebaut worden ist, mehr denn jede andere Wissenschaft die unentbehrliche Grundlage der proletarischen Aufklärung ist, so bildet andererseits das klassenbewußte Proletariat heutzutage die einzige verständnisfähige und empfängliche Zuhörerschaft für die Lehre der Nationalökonomie. Erst noch die verfallenden Ruinen der alten feudalen Gesellschaft vor den Augen, blickten einst die Quesnay und Boisguillebert in Frankreich, die Adam Smith und Ricardo in England voll Stolz und Begeisterung auf die junge bürgerliche Gesellschaft und ließen in festem Glauben an das aufsteigende Tausendjährige Reich der Bourgeoisie und seine „natürliche“ soziale Harmonie ihre Adlerblicke unerschrocken in die Tiefen der kapitalistischen Gesetze dringen.

Seitdem hatte der immer mächtiger anschwellende proletarische Klassenkampf und besonders die Juniinsurrektion des Pariser Proletariats den Glauben der bürgerlichen Gesellschaft an ihre eigene Gottähnlichkeit längst zerstört. Seit sie vom Baume der Erkenntnis moderner Klassengegensätze gegessen, verabscheut sie die klassische Nacktheit, in der sie die Schöpfer ihrer eigenen Nationalökonomie einst der Welt gezeigt hatten. Ist es doch heute klar, daß jene wissenschaftlichem Entdeckungen es waren, aus denen die Wortführer des modernen Proletariats ihre tödlichsten Waffen entnommen haben.

So kommt es, daß seit Jahrzehnten nicht bloß die sozialistische, sondern auch die bürgerliche Nationalökonomie, sofern sie einst wirkliche Wissenschaft war, in den besitzenden Klassen tauben Ohren predigt. Unfähig, die Lehren ihrer eigenen großen Ahnen zu verstehen und noch weniger die aus ihnen hervorgegangene Marxsche Lehre anzunehmen, die der bürgerlichen Gesellschaft die Totenglocke läutet, tragen die heutigen bürgerlichen Gelehrten unter dem Namen der Nationalökonomie einen formlosen Brei von Abfällen allerlei wissenschaftlicher Gedanken und interessierter Verirrungen vor, wobei sie nicht mehr den Zweck verfolgen, die wirklichen Tendenzen des Kapitalismus zu erforschen, sondern nur noch dem umgekehrten Zweck nachstreben, jene Tendenzen zu ver-

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