Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 572

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/572

im Lande usw. Und fängt das Geschäft endlich an, wieder in Gang zu kommen, dann notieren auch die Börse, die Zeitungen mit Erleichterung die ersten Anzeichen der Besserung, bis Hoffnung, Ruhe und Sicherheit wieder für eine Zeitlang einkehren. Was bei alledem das Merkwürdige ist, das ist der Umstand, daß die Krise von allen Beteiligten, von der ganzen Gesellschaft, wie etwas betrachtet und behandelt wird, was außer dem Bereich des menschlichen Willens und der menschlichen Berechnung steht, wie ein Schicksalsschlag von einer unsichtbaren Macht auf uns herniedergeschickt, wie eine Prüfung vom Himmel in der Art etwa eines schweren Gewitters, eines Erdbebens oder einer Überschwemmung. Schon die Sprache, in der die Handelszeitungen über eine Krise zu berichten pflegen, bewegt sich mit Vorliebe in solchen Wendungen wie: „der bisher heitere Himmel der Geschäftswelt fängt an, sich mit düsteren Wolken zu überziehen“, oder wenn eine schroffe Erhöhung des Bankdiskonts zu melden ist, so wird sie unter dein unvermeidlichen Titel „Sturmzeichen“ serviert, ebenso wie wir nachher vom vorüberziehenden Gewitter und heiteren Horizont lesen. Diese Ausdrucksweise bringt etwas mehr als die Geschmacklosigkeit der Tintenkulis der Geschäftswelt zum Ausdruck, sie ist geradezu typisch für die seltsame, sozusagen naturgesetzliche Wirkung der Krise. Die moderne Gesellschaft merkt ihr Nahen mit Schrecken, sie beugt zitternd den Nacken unter den hageldichten Schlägen, sie wartet das Ende der Prüfung ab und erhebt dann wieder das Haupt, erst zagend und ungläubig, endlich beruhigt. Es wird dies genau die Art sein, wie im Mittelalter das Volk den Ausbruch einer großen Hungersnot oder der Pest gewärtigte, wie heute der Landmann ein schweres Gewitter mit Hagel erduldet: dieselbe Ratlosigkeit und Machtlosigkeit gegenüber der schweren Prüfung. Allein die Hungersnot wie die Pest sind, wenn auch in letzter Linie soziale Erscheinungen, zunächst und unmittelbar Ergebnisse von Naturerscheinungen: einer Mißernte, einer Verbreitung krankheitserregender Keime und dergleichen. Das Gewitter ist ein Elementarereignis der physischen Natur, und kein Mensch vermag, wenigstens bei dem heutigen Stande der Naturwissenschaft und Technik, ein Gewitter herbeizuführen oder zu verhindern. Was ist aber die moderne Krise? Sie besteht, wie wir wissen, darin, daß zuviel Waren produziert worden sind, die keinen Absatz finden, daß infolgedessen der Handel und mit ihm die Industrie stocken. Die Herstellung von Waren, ihr Verkauf, der Handel, die Industrie – das sind aber rein menschliche Beziehungen. Es sind die Menschen selbst, die Waren produzieren, und die Menschen selbst, die sie kaufen, der Handel wird von Mensch zu Mensch geführt, wir finden in den Umständen,

Nächste Seite »