Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 570

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Der kleine Bauer auf seiner Hufe wie der große Monarch in seinen Höfen wissen ganz genau, was sie durch die Produktion erreichen wollen. Auch ist es keine Hexerei, dies zu wissen: Beide wollen die natürlichen Bedürfnisse des Menschen nach Speise und Trank, Bekleidung und Lebensbequemlichkeiten befriedigen. Der Unterschied ist nur der, daß der Bauer wohl auf einem Strohsack und der große Grundherr auf weichen Federbetten schläft, jener Bier und Met oder auch klares Wasser, dieser edle Weine zur Tafel trinkt. Der Unterschied liegt nur in der Menge und den Gattungen der hergestellten Güter. Die Grundlage der Wirtschaft aber und ihre Aufgabe: menschliche Bedürfnisse unmittelbar zu befriedigen, bleibt dieselbe. Der Arbeit, die von dieser natürlichen Aufgabe ausgeht, entspricht mit der gleichen Selbstverständlichkeit das Resultat. Auch hier wieder, im Arbeitsprozeß, sind Unterschiede vorhanden: Der Bauer arbeitet selbst mit seinen Familienmitgliedern, und er hat von der Frucht seiner Arbeit nur so viel, wie seine Hufe Land und sein Anteil an der Allmende hervorbringen kann oder, genauer – da wir hier vom mittelalterlichen Fronbauern sprechen –, so viel, wie ihm die Abgaben und die Roboten für den Gutsherrn und die Kirche übriglassen. Der Kaiser oder jeder andere adlige Grundherr arbeitet nicht selbst, sondern läßt für sich seine Untertanen und Hintersassen arbeiten. Ob aber jeder Bauer mit Familie für sich oder alle zusammen unter Leitung des Dorfschulzen oder des Fronvogtes für den Grundherrn arbeiten, das Resultat dieser Arbeit ist doch nichts als eine bestimmte Menge Lebensmittel im weiteren Sinne, das heißt gerade das, was benötigt, und ungefähr soviel wie benötigt wird. Man mag die so beschaffene Wirtschaft drehen und wenden wie man will, man findet keine Rätsel darin, die erst durch tiefsinnige Untersuchungen, durch eine besondere Wissenschaft zu ergründen wären. Der dümmste Bauer wußte im Mittelalter ganz genau, wovon sein „Reichtum“ oder vielmehr seine Armut abhing, abgesehen von Naturerscheinungen, die herrschaftliche wie bäuerliche Ländereien von Zeit zu Zeit heimsuchten. Er wußte ganz genau, daß seine bäuerliche Not eine sehr einfache und direkte Ursache hatte: erstens die grenzenlosen Erpressungen der Grundherrschaften an Roboten und Abgaben, zweitens die Diebereien derselben Herrschaften an Gemeindeland, an Wald, Wiese und Wasser. Und was der Bauer wußte, das schrie er in den Bauernkriegen laut in die Welt hinaus, das zeigte er, indem er seinen Blutsaugern den roten Hahn aufs Dach steckte. Was hierbei wissenschaftlich zu erforschen blieb, das war nur der geschichtliche Ursprung und die Entwicklung jener Verhältnisse, das war die Frage, wieso es kommen konnte, daß in ganz Europa die ehe-

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