Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 569

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/569

sammenhänge, Ursache und Wirkung, Arbeit und ihr Resultat klar wie auf flacher Hand liegen.

Vielleicht hätte der Leser hier Lust, uns wieder darauf aufmerksam zu machen, daß wir das Beispiel abermals verkehrt gewählt hätten. Nach allem gehe nämlich aus der Urkunde Karls des Großen hervor, daß es sich hier nicht um die öffentlichen Wirtschaftsverhältnisse des Deutschen Reiches handelt, sondern um die Privatwirtschaft auf den Gütern des Kaisers. Wollte aber jemand diese zwei Begriffe einander entgegensetzen, so würde er sicher in bezug auf das Mittelalter einen geschichtlichen Irrtum begehen. Freilich bezog sich das Kapitulare auf die Wirtschaft in den Höfen und Gütern Kaiser Karls, aber diese Wirtschaft leitete er als Herrscher, nicht als Privatmann. Oder richtiger: Der Kaiser war Grundherr in seinen Hofländereien, aber jeder große adlige Grundherr war im Mittelalter, namentlich in der Zeit nach Karl dem Großen, ungefähr ein solcher Kaiser im kleinen, das heißt, er war schon kraft seines freien adligen Grundbesitzes Gesetzgeber, Steuereinnehmer und Richter gegenüber der Bevölkerung seiner Güter. Daß die Wirtschaftsverfügungen Karls, die wir kennengelernt haben, tatsächlich Regierungsakte waren, beweist ihre Form selbst: Sie bilden eins von den 65 Gesetzen oder „Kapitularien“ Karls, die, vom Kaiser verfaßt, auf den jährlichen Reichsversammlungen seiner Großen publiziert wurden. Und die Bestimmungen über die Radieschen und die eisenbeschlagenen Weinfässer sind aus derselben Machtvollkommenheit heraus und in demselben Stil abgefaßt, wie zum Beispiel die Ermahnungen an die Geistlichen in der „Capitula Episcoporum“, dem „Bischöflichen Gesetz“, wo Karl die Diener des Herrn beim Ohr faßt und energisch ermahnt, nicht zu fluchen, sich nicht zu betrinken, schlechte Orte nicht zu besuchen, Frauenzimmer nicht auszuhalten und die heiligen Sakramente nicht zu teuer zu verkaufen. Wir mögen im Mittelalter suchen, wo wir wollen, wir finden nirgends auf dem platten Lande einen wirtschaftlichen Betrieb, für den nicht der obige Karls des Großen ein Muster und ein Typus wäre, sofern es sich um adelige Grundherrschaften handelt, oder aber jenen einfachen Bauernbetrieb, sei es, daß es sich um einzelne für sich wirtschaftende Bauernfamilien oder um gemeinschaftlich wirtschaftende Markgenossenschaften handelt.

Was in den beiden Beispielen das Hervorstechendste ist, daß hier das Bedürfnis des menschlichen Lebens so unmittelbar die Arbeit leitet und bestimmt und das Resultat so genau der Absicht und dem Bedürfnis entspricht, daß dadurch eben die Verhältnisse, ob auf großem oder kleinem Maßstab, jene überraschende Einfachheit und Durchsichtigkeit erhalten.

Nächste Seite »