Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 568

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auf. Weiter bestimmt er den Weihnachtstag als die Frist, wo er alljährlich die Rechnungen seiner Reichtümer einfordert, und der kleinste Bauer zählt nicht wachsamer jedes Stück Vieh und jedes Ei in seinem Hof nach wie der große Kaiser Karl. Der 62. Paragraph der Urkunde besagt: „Es ist wichtig, daß wir wissen, was und wieviel wir von all den Dingen haben.“ Und er zählt wieder auf: Ochsen, Mühlen, Holz, Schiffe, Weinreben, Gemüse, Wolle, Leinen, Hanf, Obst, Bienen, Fische, Häute, Wachs und Honig, alte und neue Weine und anderes, was ihm geliefert wird. Und er fügt zum Trost für die lieben Untertanen, die all das liefern sollen, treuherzig hinzu: „Wir hoffen, daß euch das alles nicht zu hart erscheinen wird, denn ihr könnt es ja eurerseits einfordern, da ja jeder auf seinem Gute Herr ist.“ Weiter finden wir genaue Vorschriften über die Art der Verpackung und des Transports der Weine, die anscheinend eine besondere Regierungssorge des großen Kaisers ausmachten: „Man solle den Wein in Fässern mit festen Eisenleisten fahren und niemals in Schläuchen. Was das Mehl betrifft, so soll es in doppelten Karren und mit Leder gedeckt transportiert werden, so daß es über die Flüsse gebracht werden kann, ohne Schaden zu nehmen. Ich will auch, daß man mir genaue Rechenschaft gibt von den Hörnern meiner Böcke und Ziegen sowohl wie von den Häuten der Wölfe, die im Laufe jedes Jahres erlegt werden. Im Monat Mai solle man nicht verabsäumen, einen unerbittlichen Krieg den jungen Wölflein anzusagen.“ Endlich im letzten Paragraphen zählt Karl noch all die Blumen und Bäume und Kräuter auf, die er in seinen Gärten gepflegt wissen will, als da sind: Rosen, Lilien, Rosmarin, Gurken, Zwiebeln, Radieschen, Kümmel und so weiter und so weiter. Die berühmte Gesetzesurkunde schließt ungefähr mit der Aufzählung verschiedener Apfelsorten.

Dies das Bild der kaiserlichen Wirtschaft im 9. Jahrhundert, und obwohl es sich hier um einen der mächtigsten und reichsten Fürsten des Mittelalters handelte, so wird jedermann zugeben müssen, daß seine Wirtschaft ebenso wie die Prinzipien dieses Wirtschaftsbetriebes überraschend an jenen zwerghaften Bauernhof erinnern, den wir zuerst betrachtet haben. Auch hier würde uns der kaiserliche Wirt, wenn wir ihm die bewußten Grundfragen der Nationalökonomie nach dem Wesen des Reichtums, dem Zweck der Produktion, der Arbeitsteilung usw. usw. vorlegen wollten, mit einer königlichen Handbewegung auf die Berge Getreide, Wolle und Hanf, auf die Fässer Wein, Öl und Essig, auf die Ställe voll Kühe, Ochsen und Schafe verweisen. Und wir wüßten wahrlich ebensowenig, was in dieser Wirtschaft eigentlich die nationalökonomische Wissenschaft an geheimnisvollen „Gesetzen“ zu untersuchen und zu enträtseln hätte, da alle Zu-

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