Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 560

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großartige Spekulation endete schon nach einem Jahre mit dem Bankrott, als nach dem Friedensschluß in den Vereinigten Staaten der Preis der Baumwolle in wenigen Tagen wieder auf den vierten Teil fiel. Das Ergebnis der Baumwollperiode für Ägypten war der beschleunigte Ruin der Bauernwirtschaft, der beschleunigte Zusammenbruch der Finanzen und am letzten Ende die beschleunigte Okkupation Ägyptens [durch] das englische Militär.[1]

Inzwischen macht die Baumwollindustrie neue Eroberungen. Der Krimkrieg des Jahres 1855 hatte die Zufuhr von Hanf und Flachs aus Rußland [unterbunden], was in Westeuropa zu einer heftigen Krise in der Leinwandfabrikation führte. Die Baumwolle dringt dabei vielfach an Stelle der Leinwand, die Baumwollindustrie dehnt sich auf Kosten der Leinwandproduktion immer mehr aus. In Rußland erfolgt gleichzeitig seit dem Zusammenbruch des alten Systems im Krimkriege eine politische Umwälzung, Abschaffung der Leibeigenschaft, liberale Reformen, Freihandel und rapider Bau von Eisenbahnen. Ein neuer gewaltiger Absatzmarkt für Industrieprodukte wird damit im Innern des Riesenreichs eröffnet, und die englische Baumwollindustrie dringt mit als die erste auf die russischen Märkte vor. In den sechziger Jahren wird gleichfalls nach einer Reihe blutiger Kriege China für den englischen Handel erschlossen.[2] England beherrscht den Weltmarkt, und die Baumwollindustrie liefert die Hälfte seiner Ausfuhr. Die Periode der sechziger und siebziger Jahre ist die Zeit der glänzendsten Geschäfte der englischen Kapitalisten, zugleich die Zeit, wo sie am meisten geneigt sind, sich durch kleine Konzessionen an die Arbeiter die „Hände“ und den „gewerblichen Frieden“ zu sichern. In dieser Periode erreichen die englischen Trade-Unions, die Baumwollspinner und -weber an der Spitze, ihre bedeutendsten Erfolge, zugleich ist dies die Zeit des endgültigen Absterbens der revolutionären Traditionen der Chartistenbewegung[3] und der Owenschen Ideen im englischen Proletariat und seine Erstarrung im konservativen Tradeunionismus[4].

Bald wendet sich jedoch das Blatt. Überall auf dem Kontinent, wohin

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[1] Siehe S. 395, Fußnote 1.

[2] Siehe S. 206, Fußnote 1.

[3] Siehe S. 186, Fußnote 2.

[4] Die Trade-Unions, berufsständische Gewerkschaften qualifizierter Arbeiter, erkämpften in den sechziger und siebziger Jahren höhere Reallöhne, den 9- bis 10-Stunden-Arbeitstag und 1867 das Wahlrecht für Kleinbürger und bessergestellte Teile der Arbeiterschaft. Diese Erfolge blieben jedoch hinter den demokratischen Forderungen der Chartisten und den sozialen Reformideen des utopischen Sozialisten Robert Owen (1771–1858) zurück. Die Gewerkschaftsführer nutzten die Ergebnisse des ökonomischen. Kampfes, um die selbständige proletarische Klassenpolitik aufzugeben, und betrieben konservativen Tradeunionismus, der sich auf den Kampf zur Reformierung der kapitalistischen Ausbeuterordnung beschränkte.