Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 559

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Industrie ihres Rohstoffs beraubt, und im Jahre 1863 bricht in England eine furchtbare Krise, der sogenannte „Baumwollhunger“, aus. Im Distrikt Lancashire werden 250 000 Arbeiter ganz arbeitslos, 166 000 nur teilweise beschäftigt, und nur 120 000 Arbeiter finden noch volle Beschäftigung, doch bei Löhnen, die um 10–20 Prozent herabgedrückt sind. Grenzenloses Elend herrscht unter der Bevölkerung des Distrikts, und 50 000 Arbeiter fordern in einer Petition an das englische Parlament die Bewilligung von Staatsmitteln, um mit Weib und Kind aus England auszuwandern. Die australischen Staaten, die für ihren beginnenden kapitalistischen Aufschwung erforderlicher Arbeitskräfte ermangeln – nachdem die eingeborene Bevölkerung durch die europäischen Einwanderer bis auf einen geringen Rest ausgerottet worden ist –, erklären sich bereit, die arbeitslosen Proletarier aus England aufzunehmen. Allein die englischen Fabrikanten protestieren heftig gegen die Auswanderung ihrer „lebendigen Maschinerie“, die sie bei demnächst zu erwartendem Aufschwung der Industrie wieder selbst brauchen können. Die Mittel zur Emigration werden den Arbeitern verweigert und die Schrecken der Krise von ihnen bis auf die Neige ausgekostet.

Die englische Industrie sucht, nachdem die amerikanische Quelle versagt hat, sich anderweitig ihren Rohstoff zu verschaffen und richtet ihre Blicke nach Ostindien. Baumwollplantagen werden hier fieberhaft angelegt, und der Reisbau, der seit Jahrtausenden die tägliche Nahrung der Bevölkerung liefert und ihre Existenzbasis bildet, muß auf weiten Strecken den profitablen Aussichten der Spekulanten weichen. Im Anschluß an diese Verdrängung des Reisbaues stellt sich nach wenigen Jahren eine außerordentliche Teuerung und eine Hungersnot ein, bei der 1866 in einem einzigen Distrikt, Orissa, nördlich von Bengalen, mehr als 1 Million Menschen vom Hungertode weggerafft werden.

Ein zweites Experiment wird in Ägypten gemacht. Um die Konjunktur des Sezessionskrieges auszunützen, legt der Vizekönig von Ägypten, Ismail Pascha, schleunigst Baumwollplantagen an. Eine förmliche Revolution findet in den Eigentumsverhältnissen und der Landwirtschaft des Landes statt. Das Bauernland wird auf weiten Strecken gestohlen, als königliches Gut erklärt und zu Plantagen größten Stils verwendet. Tausende von Fronbauern werden mit der Karbatsche auf die Plantagen getrieben, um für den Vizekönig Dämme aufzurichten, Kanäle zu bauen und den Pflug zu führen. Der Vizekönig aber stürzt sich noch tiefer in Schulden bei englischen und französischen Bankiers, um für geliehenes Geld modernste Dampfpflüge und Entkörnungsanlagen aus England zu beziehen. Die

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