Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 554

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Schema ein neues Rätsel auf: Es hat, umgekehrt wie Rußland und ähnlich wie Deutschland und Frankreich, eine stark überwiegende Einfuhr, die in manchem Jahr nahezu das Doppelte der Ausfuhr beträgt. Wie können sich die Türkei oder China den Luxus einer so reichlichen Ausfüllung eigener „Lücken“ in der „Volkswirtschaft“ leisten, da diese ihre Volkswirtschaften nicht entfernt entsprechende „Überschüsse“ abzugeben imstande sind? Wird dem Halbmond und dem Reiche des Zopfes etwa jahrein, jahraus von den europäischen Westmächten in christlicher Liebe ein Geschenk von mehreren 100 Millionen Mark in Gestalt von allerlei nützlichen Waren gemacht? Aber jedes Kind weiß, daß sowohl die Türkei wie China vielmehr über die Ohren in den Krallen des europäischen Wuchers stecken und den englischen, deutschen, französischen Bankhäusern enorme Tribute an Zinsen zahlen müssen. Nach dem russischen Beispiel müßte sowohl die Türkei wie China also umgekehrt einen Überschuß an Ausfuhr- von eigenen Landesprodukten aufweisen, um an ihre westeuropäischen Wohltäter Zinsen zahlen zu können. Allein in der Türkei wie in China ist die sogenannte „Volkswirtschaft“ grundverschieden von der russischen. Die auswärtigen Anleihen werden zwar gleichfalls in der Hauptsache zu Eisenbahnbauten, Hafenanlagen sowie zu Militärrüstungen verwendet. Aber die Türkei besitzt bis jetzt so gut wie gar keine eigene Industrie und kann sie aus dem Boden einer mittelalterlichen bäuerlichen Naturalwirtschaft mit ihrem primitiven Feldbau und ihrem Zehnten nicht plötzlich stampfen. Ungefähr dasselbe in abweichenden Formen ist in China der Fall. Darum müssen nicht nur der gesamte Bedarf der Bevölkerung an Industrieerzeugnissen, sondern auch alle für die Verkehrskonstruktionen wie für die Ausrüstung von Heer und Flotte notwendigen Hilfsmittel fertig aus Westeuropa bezogen und von europäischen Unternehmern, Technikern, Ingenieuren an Ort und Stelle in Ausführung genommen werden. Ja die Anleihen sind häufig im voraus an solche Lieferungen geknüpft. China kriegt zum Beispiel von dem deutschen und österreichischen Bankkapital eine Anleihe nur unter der Bedingung, daß es gleich bei den Skoda-Werken und bei Krupp für eine bestimmte Summe Rüstungen bestellt; andere Anleihen werden von vornherein an Konzessionen zur Ausführung von Eisenbahnen geknüpft. So wandert das europäische Kapital nach der Türkei, nach China meist gleich schon als Waren (Militärrüstungen) oder als Industriekapital in natura in Gestalt von Maschinen, Eisen usw. Diese letzteren Waren fließen hin nicht zum Austausch, sondern zur Profiterzeugung. Die Zinsen auf dieses Kapital nebst übrigen Profiten werden von den europäischen Kapitalisten im Lande

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