Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 552

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sie an eigenem „Überschuß“ ausführt? Vielleicht wird uns der Professor spöttisch zurufen: Aber die Lösung ist die einfachste von der Welt: Das einführende Land braucht den Überschuß seiner Einfuhr über seine Ausfuhr bloß mit barem Gelde zu begleichen. Allein, mit Verlaub! Einen solchen Luxus, jahrein, jahraus in den Abgrund seines auswärtigen Handels eine beträchtliche Summe baren Geldes auf Nimmerwiedersehen zu schmeißen, könnte sich höchstens ein Land mit reichen eigenen Gold- und Silbergruben leisten, was weder auf Deutschland noch auf Frankreich, weder auf Belgien noch auf die Niederlande zutrifft. Außerdem sehen wir – o Wunder! – die folgende Überraschung: Deutschland führt nicht bloß ständig mehr Waren, sondern auch mehr Geld ein als aus! So betrug im Jahre 1913 die deutsche Einfuhr an Gold und Silber 441,3 Millionen Mark, die Ausfuhr 102,8 Millionen Mark, und ungefähr dasselbe Verhältnis schon seit Jahren. Was sagt Professor Bücher mit seinen „Überschüssen“ und seinen „Lücken“ zu diesem Rätsel? Die Zauberlampe flackerte trübselig. In der Tat. Wir fangen an zu ahnen, daß hinter dem rätselhaften Zeichen des Welthandels wohl noch ganz andersgeartete ökonomische Verhältnisse zwischen den einzelnen „Volkswirtschaften“ bestehen müssen als einfacher Warenaustausch; ständig von anderen Ländern mehr an Produkten kriegen, als man ihnen von Eigenem abgibt, könnte offenbar nur ein Land, das etwa ökonomische Forderungsrechte an jene anderen hätte. Rechte, die vom Austausch zwischen Gleichen durchaus verschieden sind. Und solche Forderungsrechte und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Ländern bestehen in der Tat auf Schritt und Tritt, obwohl professorale Theorien nichts von ihnen wissen. Ein solches Abhängigkeitsverhältnis, und zwar in einfachster Form, ist das eines sogenannten Mutterlandes zu seiner Kolonie. Großbritannien zieht aus seiner größten Kolonie, Britisch-Indien, jährlich über 1 Milliarde Mark Tribut in verschiedener Form. Und wir sehen dementsprechend, daß die Warenausfuhr Indiens nur 1,2 Milliarden Mark jährlich seine Einfuhr übertrifft. Dieser „Überschuß“ ist nichts anderes als der ökonomische Ausdruck der kolonialen Ausbeutung Indiens durch den englischen Kapitalismus – ob wir uns die Waren als direkt für Großbritannien bestimmt denken oder ob Indien an alle möglichen Staaten jedes Jahr für 1,2 Milliarden Mark Waren speziell zu dem Zwecke verkaufen muß, um den Tribut an seine englischen Ausbeuter zu entrichten.[1] Aber es gibt noch andere

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[1] Randnotiz R. L. Hintergrund in Indien: die „Volkswirtschaft” der Bauerngemeinde bricht zusammen. Industrie ...2 Die stummen Zahlen der Ein- und Ausfuhr sprechen eine eindringliche Sprache davon. 2: Punkte in der Quelle.