Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 551

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dauer durch den eigenen Kriegsbedarf des Staates ersetzt. Mit anderen Worten hatten die wichtigsten Industriezweige: Metall-, Textil-, Leder-, chemische Industrie, eine Ummodelung erfahren und wurden in ausschließliche Lieferungsindustrien für die Armee verwandelt. Da die Kosten des Krieges von den deutschen Steuerzahlern gedeckt werden, so bedeutete diese Umwandlung der Industrie in Kriegsindustrie, daß die deutsche „Volkswirtschaft“, statt einen großen Teil ihrer Produkte ins Ausland zum Austausch zu schicken, ihn der fortlaufenden Vernichtung im Kriege preisgab, mit dem so entstehenden Verlust aber vermittelst des öffentlichen Kreditsystems die zukünftigen Ergebnisse der Wirtschaft auf Jahrzehnte hinaus belastete.

Nimmt man alles zusammen, dann ist es klar, daß das wunderbare Gedeihen des „Mikrokosmos“ im Kriege nach jeder Richtung ein Experiment darstellte, von dem es nur eine Frage war, wie lange es hingezogen werden kann, ohne daß das künstliche Gebäude wie ein Kartenhaus zusammenstürzt.

Jetzt noch einen Blick auf eine merkwürdige Erscheinung. Wenn wir den auswärtigen Handel Deutschlands in seinen Gesamtzahlen betrachten, so fällt es auf, daß seine Einfuhr bedeutend größer ist als die Ausfuhr: die erstere betrug 1913 11,6, die letztere 10,9 Milliarden. Und dieses Verhältnis ist nicht etwa eine Ausnahme des genannten Jahres, sondern seit einer längeren Reihe von Jahren zu konstatieren. Dasselbe bei Großbritannien, das 1913 im Gesamteigenhandel `für 13 Milliarden Mark ein- und für 10 Milliarden Mark ausführte. Ähnlich liegen die Dinge in Frankreich, in Belgien, in den Niederlanden. Wie ist eine derartige Erscheinung möglich? Will Professor Bücher uns nicht mit seiner Theorie des „Überschusses über den eigenen Bedarf“ und der „gewissen Lücken“ erleuchten?

Wenn die wirtschaftlichen Beziehungen der verschiedenen „Volkswirtschaften“ zueinander sich darin erschöpfen, daß, wie der Professor uns belehrt, die einzelnen „Volkswirtschaften“ einander, wie schon zu Zeiten Nebukadnezars, ihre jeweiligen „Überschüsse“ zuwerfen, das heißt, wenn der einfache Warenaustausch die einzige Brücke über den blauen Luftraum ist, der einen dieser „Mikrokosmen“ von dem anderen trennt, dann ist es klar, daß ein Land just so viel an fremden Waren einführen kann, wie es an eigenen ausführt. Ist doch das Geld bei einfachem Warenaustausch bloßer Vermittler, und wird die fremde Ware letzten Endes mit der eigenen Ware bezahlt. Wie kann eine „Volkswirtschaft“ also das Kunststück fertigbringen, dauernd mehr aus der Fremde einzuführen, als

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