Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 550

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/550

schen Volkes wurde also die Fläche der eigenen „Volkswirtschaft“ um das ganze Areal der okkupierten Landstriche Belgiens und Nordfrankreichs, im zweiten Kriegsjahre um den westlichen Teil des russischen Reiches vergrößert, die mit ihren landwirtschaftlichen Erzeugnissen in hohem Maße den Ausfall in der deutschen Zufuhr decken mußten. Das ergänzende Gegenstück dazu bildete das grauenhafte Defizit in der Ernährung der einheimischen Bevölkerung jener fremden Landstriche, die ihrerseits – wie zum Beispiel in Belgien – auf dem Wege der Wohltätigkeit von Produkten der amerikanischen Landwirtschaft erhalten wurde. Die zweite Ergänzung bildete in Deutschland die Verteuerung sämtlicher Lebensmittel um 100 bis 200 Prozent und die erschreckende Unterernährung breitester Schichten der einheimischen Bevölkerung.

Ferner das industrielle Räderwerk. Wie konnte dieses im Betrieb erhalten werden ohne die Zufuhr fremder Rohstoffe und anderer Produktionsmittel, deren ungeheuere Wichtigkeit wir kennengelernt haben? Wie konnte ein solches Wunder geschehen? Das Rätsel löst sich auf die einfachste Weise und ohne jedes Wunder. Die deutsche Industrie konnte in Tätigkeit bleiben einzig und allein deshalb, weil sie eben mit den unentbehrlichen ausländischen Rohstoffen fortlaufend gespeist wurde, und zwar bezog sie diese auf dreifachem Wege: erstens aus großen Vorräten, die Deutschland an Baumwolle, an Wolle, an Kupfer etc. in verschiedenster Gestalt bereits im Lande besaß und nur aus ihren Schlupfwinkeln hervorzulocken und flüssig zu machen brauchte; zweitens aus den Vorräten, die es wiederum in fremden Ländern: Belgien, Nordfrankreich, zum Teil Polen und Litauen, kraft militärischer Okkupation mit Beschlag belegte und für die eigene Industrie nutzbar machte; drittens endlich aus der fortlaufenden Zufuhr vom Auslande, die durch die Vermittlung neutraler Länder (und aus Luxemburg) auch im Laufe des ganzen Krieges nicht aufgehört hatte. Fügt man hinzu, daß die unentbehrliche Voraussetzung dieser ganzen „Kriegswirtschaft“ und ihres glatten Fortganges auch noch ein enormer Vorrat ausländischen Edelmetalls war, das in den deutschen Banken aufgeschatzt lag, so erweist sich, daß die hermetische Abschließung der deutschen Industrie und des Handels von der Außenwelt eine ebensolche Legende war wie die ausreichende Ernährung der deutschen Bevölkerung durch die einheimische Landwirtschaft und daß die angebliche Selbstherrlichkeit des deutschen „Mikrokosmos“ im Weltkriege somit auf zwei Ammenmärchen beruhte.

Endlich der Absatz der deutschen Industrie, den wir in so hohem Maße in allen Weltgegenden festgestellt haben. Er wurde während der Kriegs-

Nächste Seite »