Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 549

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strie, die heute 450 000 Arbeiter beschäftigt, die aber ohne ausländisches Bau- und Nutzholz zum größten Teil ihren Betrieb schließen müßte. Erwähnen wir die Lederindustrie, die ohne ausländische Häute wie auch ohne den großen Absatz im Auslande mit ihren 117 000 Arbeitern auf dem Pflaster liegen würde. Erwähnen wir die Edelmetalle Gold und Silber, die das Geldmaterial und als solches die unentbehrliche Basis des ganzen heutigen Wirtschaftslebens bilden, die aber in Deutschland so gut wie gar nicht produziert werden. Stellen wir uns das alles lebendig vor, und fragen wir dann: Was ist die deutsche „Volkswirtschaft“? Das heißt, verausgesetzt, daß Deutschland wirklich und dauernd von der übrigen Welt abgeschnitten wäre und seine .Wirtschaft ganz allein führen müßte, was würde aus dem heutigen Wirtschaftsleben und somit aus der ganzen heutigen Kultur Deutschlands werden? Ein Produktionszweig würde nach dem anderen zusammenbrechen, einer den anderen in den Abgrund ziehen, eine enorme Proletariermasse ohne Beschäftigung, die ganze. Bevölkerung beraubt der notwendigsten Nahtangs- und Genußmittel und der Kleidung, der Handel beraubt seiner Basis, des Edelmetallgeldes, die ganze „Volkswirtschaft“ – ein Haufen von Trümmern, ein zerschmettertes Wrack! ...[1]

So sehen die „gewissen Lücken“ im deutschen Wirtschaftsleben aus und so der „immer vollkommenere Mikrokosmos“, der sich selbstgefällig im blauen Äther der professoralen Theorie wiegt.

Doch halt! Und der Weltkrieg von 1914, die große Probe aufs Exempel der „Volkswirtschaft“? Hat er nicht die Bücher und Sombart aufs glänzendste gerechtfertigt? Hat er nicht der neidischen Welt gezeigt, wie vortrefflich der deutsche „Mikrokosmos“ dank der strammen staatlichen Organisation und der Leistungsfähigkeit der deutschen Technik auch in hermetischer Abschließung vom Weltverkehr existenzfähig, gesund und kräftig ist? Hat nicht die Ernährung des Volkes ohne fremde Landwirtschaft vollauf, ausgereicht, und ist nicht das Räderwerk der Industrie ohne Zufuhr aus dem Auslande, ohne Absatz dorthin munter in Bewegung geblieben?

Sehen wir uns die Tatsachen an.

Zunächst die Ernährung. Sie war nicht entfernt von der deutschen Landwirtschaft allein bestritten. Mehrere Millionen erwachsener männlicher Bevölkerung, zur Armee gehörig, wurden fast während der ganzen Dauer des Krieges von fremden Ländern erhalten: von Belgien, Nordfrankreich und zum Teil von Polen und Litauen. Zur Ernährung des deut-

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[1] Punkte in der Quelle.