Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 546

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garne und Wollwaren, dasselbe auf Rindshäute und Pelzfelle und noch auf viele andere Waren, die nicht in der Tabelle aufgezählt sind. Vom Standpunkte des kahlen Gegensatzes zwischen Industrie und Landwirtschaft, der unserem Professor der Nationalökonomie wie Aladins Zauberlampe alle Geheimnisse des modernen Welthandels beleuchten hilft, ist diese merkwürdige Duplizität ganz unbegreiflich, ja sie wirkt wie eine vollendete Absurdität. Wie denn nun? Hat Deutschland an Maschinen einen „Überschuß über den eigenen Bedarf“ oder hat es darin umgekehrt „gewisse Lücken“? Und an Steinkohle und an Baumwollwaren? Und an Rindshäuten? Und an hundert anderen Dingen! Oder wie sollte eine „Volkswirtschaft“ gleichzeitig und an denselben Produkten ständig etwaigen „Überschuß“ und „gewisse Lücken“ aufweisen können? Aladins Lampe flackert unsicher. Offenbar ist die beobachtete Tatsache nur zu erklären, wenn wir annehmen, daß zwischen Deutschland und den anderen Ländern kompliziertere, tiefgreifende wirtschaftliche Zusammenhänge bestehen, eine weitverzweigte, ins einzelne gehende Arbeitsteilung, die gewisse Sorten derselben Produkte in Deutschland für das Ausland, andere Sorten im Auslande für Deutschland herstellen läßt, ein tägliches Hinüber und Herüber schafft und einzelne Länder nur als organische Teile eines größeren Ganzen erscheinen läßt.

Jedermann muß ferner schon beim ersten Blick auf die Tabelle von der Tatsache frappiert sein, daß Einfuhr und Ausfuhr hier nicht als zwei getrennte, etwa hier durch „Lücken“ der eigenen Wirtschaft, dort durch ihre „Überschüsse“ erklärliche Erscheinungen auftreten, daß sie vielmehr miteinander ursächlich verkettet sind. Die enorme Baumwolleinfuhr Deutschlands ist ganz augenscheinlich nicht durch den eigenen Bedarf der Bevölkerung bemessen, vielmehr soll sie von vornherein die große Ausfuhr von Baumwollstoffen und Kleidern aus Deutschland ermöglichen. Ebenso der Zusammenhang zwischen der Einfuhr von Wolle und der Ausfuhr van Wollwaren, desgleichen zwischen der enormen Einfuhr fremder Erze und der enormen Ausfuhr von Eisenwaren in jeglicher Gestalt, und so auf Schritt und Tritt. Deutschland führt also ein, um ausführen zu können. Es schafft sich künstlich „gewisse Lücken“, um diese Lücken hintennach in ebenso viele „Überschüsse“ zu verwandeln. Der deutsche „Mikrokosmos“ erscheint so von vornherein in allen seinen Maßstäben als ein Splitter eines größeren Ganzen, als eine Werkstatt der Welt.

Doch schauen wir uns diesen „Mikrokosmos“ in seiner „immer vollkommeneren“ Selbstherrlichkeit einmal genauer an. Denken wir uns, daß durch irgendeine soziale und politische Katastrophe die deutsche „Volks-

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