Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 539

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nicht als Zeichen anzusehen, daß die Menschheit eine neue Stufe der Entwicklung zu erklimmen im Begriffe steht, die unter dem Namen der Weltwirtschaft den früheren Stufen gegenübergestellt werden müßte. Denn einerseits hat keine Wirtschaftsstufe volle Selbstherrlichkeit der Bedürfnisbefriedigung auf die Dauer garantiert; jede ließ gewisse Lücken bestehen, die so oder so ausgefüllt werden mußten. Andererseits hat jene sogenannte Weltwirtschaft bis jetzt wenigstens keine Erscheinungen hervortreten lassen, die von denen der Volkswirtschaft in wesentlichen Merkmalen abweichen, und es steht sehr zu bezweifeln, daß solche in absehbarer Zukunft auftreten werden.“[1]

Noch kühner ist Professor Büchers jüngerer Kollege Sombart, der schlankweg erklärt, daß wir nicht in die Weltwirtschaft hineinwachsen, sondern gar umgekehrt uns immer mehr von ihr entfernen: „Die Kulturvölker, so behaupte ich vielmehr, sind heute (im Verhältnis zu ihrer Gesamtwirtschaft) nicht wesentlich mehr, sondern eher weniger durch Handelsbeziehungen untereinander verknüpft. Die einzelne Volkswirtschaft ist heute nicht mehr, sondern eher weniger in den Weltmarkt einbezogen als vor hundert oder fünfzig Jahren. Mindestens aber ... ist es falsch, anzunehmen, daß die internationalen Handelsbeziehungen eine verhältnismäßig wachsende Bedeutung für die moderne Volkswirtschaft gewinnen. Das Gegenteil ist richtig.“ Professor Sombart ist überzeugt, daß „die einzelnen Volkswirtschaften immer vollkommenere Mikrokosmen (das heißt kleine abgeschlossene Welten – R. L.) werden und daß der innere Markt für alle Gewerbe den Weltmarkt immer mehr an Bedeutung überflügelt“.[2]

Diese funkelnde Narretei, die allen täglichen Wahrnehmungen des Wirtschaftslebens ungeniert ins Gesicht schlägt, unterstreicht aufs glücklichste jene verbissene Abneigung der Herren Zunftgelehrten gegen die Anerkennung der Weltwirtschaft als einer neuen Entwicklungsphase der menschlichen Gesellschaft – eine Abneigung, die wir uns wohl zu merken und deren verborgenen Wurzeln wir nachzugehen haben.

Weil also schon auf den „früheren Wirtschaftsstufen“, zum Beispiel zu König Nebukadnezars Zeiten, „gewisse Lücken“ im Wirtschaftsleben der Menschen durch den Austausch ausgefüllt wurden, so hat der heutige Welthandel gar nichts zu besagen, und es bleibt bei der „Volkswirtschaft“. Dies die Meinung Professor Büchers.

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[1] [Karl Bücher:] Die Entstehung der Volkswirtschaft. [Vorträge und Versuche,] 5. Aufl. [Tübingen 1906], S. 141 f. – [Fußnote im Original]

[2] W[erner] Sombart: Die deutsche Volkswirtschaft im Neunzehnten Jahrhundert, 2. Aufl„ [Berlin] 1909, S. 400–420. – Im Original mit **.