Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 522

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ration demokratischer Nationalstaaten appellieren. Die Generalauseinandersetzung zur Austragung des weltgeschichtlichen Gegensatzes zwischen Proletariat und Kapital verwandelt sich in die Utopie eines historischen Kompromisses zwischen Proletariat und Bourgeoisie zur „Milderung“ der imperialistischen Gegensätze zwischen kapitalistischen Staaten.[1]

Otto Bauer schließt seine Kritik an meinem Buche mit folgenden Worten:

„Nicht an der mechanischen Unmöglichkeit, den Mehrwert zu realisieren, wird der Kapitalismus scheitern. Er wird der Empörung erliegen, zu der er die Volksmassen treibt. Nicht erst dann, bis der letzte Bauer und der letzte Kleinbürger auf der ganzen Erde in Lohnarbeiter verwandelt, daher dem Kapitalismus kein zuschüssiger Markt mehr offen sein wird, wird der Kapitalismus zusammenbrechen, er wird weit früher gefällt werden von der wachsenden ,Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse.“ Um diese Belehrung just an mich zu richten, mußte Bauer als Meister der Abstraktion nicht bloß von dem ganzen Sinn und der Tendenz meiner Auffassung, der Akkumulation, sondern auch von dem klaren Wortlaut meiner Äußerungen abstrahieren. Daß aber seine eigenen tapferen Worte wieder nur als typische Abstraktion des „sachverständigen“ Marxismus, d. h. als harmloser Kolophoniumblitz des „reinen Denkens“ aufzufassen sind, beweist die Haltung dieser Theoretikergruppe bei Ausbruch des Weltkrieges. Die Empörung der stets anschwellenden geschulten und organisierten Arbeiterklasse wandelte sich plötzlich in die Politik der „Stimmenthaltung“

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[1] Eckstein, der mich in seiner Besprechung 10 „Vorwärts” Im Januar 1913 unter einfacher Anleihe aus dem Sprachschatz der Kolb-Heine-David wegen der „Katastrophentheorie” denunzierte („Mit den theoretischen Voraussetzungen fallen die praktischen Schlußfolgerungen, vor allem die Katastrophentheorie, welche Genossin Luxemburg auf ihre Lehre von der Notwendigkeit nichtkapitalistischer Konsumenten aufgebaut hat.”), denunziert mich jetzt, seit die Theoretiker des Sumpfes sich wieder nach links „orientieren”, wegen des umgekehrten Verbrechens der Vorschubleistung gegenüber dem rechten Flügel der Sozialdemokratie. Er weist mit Eifer darauf hin, daß Lensch, derselbe Lensch, der im Weltkriege zu den Kolb-Heine-David abgeschwenkt ist, seinerzeit an meinem Buche Gefallen gefunden und es in der „Leipziger Volkszeitung” zustimmend besprochen hätte. Ist der Zusammenhang nicht klar? Verdächtig, höchst verdächtig! „Ebendeshalb” habe sich Eckstein veranlaßt gesehen, mein Buch im „Vorwärts” so gründlich zu vernichten. Nun fand aber derselbe Lensch vor dem Kriege noch größeren Gefallen an dem Marxschen „Kapital”. Ja, ein Max Grunwald war jahrelang begeisterter Interpret des Marxschen „Kapitals” an der Berliner Arbeiterbildungsschule. Ist das nicht ein schlagender Beweis, daß das Marxsche „Kapital” geradewegs dazu verleitet, für die Vernichtung Englands zu schwärmen und Geburtstagsartikel für Hindenburg zu schreiben? Aber solche Böcke passieren eben den Ecksteins, die in ihrer plumpen Art gerade die Sache versalzen, die sie „übernommen” haben. Schon Bismarck klagte bekanntlich oft über solchen blinden Eifer seiner journalistisches Reptile. – [Fußnote im Original]