men, daß sie das gesamte Kulturdasein der Menschheit in Frage stellt; zwar ist es gerade dieser unbezähmbare Drang des Kapitals nach Expansion, der Schritt für Schritt den Weltmarkt hergestellt, die moderne Weltwirtschaft zusammengefügt und so erst die historische Grundlage für den Sozialismus geschaffen hat; zwar ist die proletarische Internationale, die dem Kapitalismus den Garaus machen soll, selbst nur ein Produkt der Weltexpansion des Kapitals. Aber das alles braucht ja gar nicht zu sein, denn es ist ja auch ein ganz anderer Verlauf der Geschichte denkbar. In der Tat, was ist nicht alles für einen starken Denker „denkbar“? „Nach unserer Ansicht ist der Kapitalismus auch ohne Expansion denkbar.“
Nach unserer Ansicht ist die moderne Entwicklung auch ohne die Entdeckung Amerikas und die Umschiffung Afrikas denkbar. Bei reiflicher Überlegung ist die menschliche Geschichte auch ohne den Kapitalismus denkbar. Schließlich ist das Sonnensystem ohne den Erdball denkbar. Deutsche Philosophie ist vielleicht ohne die „metaphysische Tölpelhaftigkeit“ denkbar. Nur eins scheint uns schlechterdings undenkbar: daß ein so „denkender“ offizieller Marxismus als geistige Avantgarde der Arbeiterbewegung in der Phase des Imperialismus zu anderen Resultaten führen konnte als zu dem elenden Fiasko der Sozialdemokratie, das wir heute in dem Weltkriege erleben.
Sicher hängt die Taktik und das praktische Verhalten im Kampfe nicht unmittelbar davon ab, ob man den zweiten Band des Marxschen „Kapitals“ als abgeschlossenes Werk oder bloßes Fragment betrachtet, ob man an die Möglichkeit der Akkumulation in einer „isolierten“ kapitalistischen Gesellschaft glaubt oder nicht, ob man die Marxschen Schemata der Reproduktion so oder anders auffaßt. Tausende Proletarier sind brave und feste Kämpfer für die Ziele des Sozialismus, ohne von diesen theoretischen Problemen etwas zu wissen – auf Grund der allgemeinen grundsätzlichen Erkenntnisse des Klassenkampf es und auf Grund eines unbestechlichen Klasseninstinkts sowie revolutionärer Traditionen der Bewegung. Aber zwischen dem Erfassen, der Art der Behandlung theoretischer Probleme und der Praxis politischer Parteien besteht auf größeren Strecken stets der engste Zusammenhang. In dem Jahrzehnt, welches dem Ausbruch des Weltkrieges vorausgegangen ist, wies in der deutschen Sozialdemokratie als der internationalen Metropole des proletarischen Geisteslebens der allgemeine Zuschnitt auf theoretischem wie auf praktischem Gebiete vollkommene Harmonie auf: Dieselbe Ratlosigkeit und dieselbe Verknöcherung machte sich hier wie dort geltend, und es war derselbe Imperialismus als übermächtige herrschende Erscheinung des öffentlichen Lebens, der