Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 516

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füllen. Der österreichische Imperialismus pirschte natürlich in Serbien und Albanien in erster Linie nach frischen Arbeitskräften. Und das deutsche Kapital sucht jetzt mit der Laterne Kleinasien und Mesopotamien nach türkischen Industriearbeitern ab, zumal in Deutschland vor dem Weltkriege so empfindlicher Arbeitsmangel auf allen Gebieten herrschte!

Es ist klar: Otto Bauer hat hier wieder einmal als „ein Mensch, der spekuliert“, bei seinen Operationen mit der Stange im Nebel die platte Erde vergessen. Den modernen Imperialismus verwandelt er kaltblütig in den Drang des Kapitals nach neuen Arbeitskräften. Dies soll der Kern, das innerste Bewegungsprinzip des Imperialismus sein. Erst in zweiter Linie erwähnt Bauer daneben auch noch den Bedarf nach überseeischen Rohstoffen, der schon ohne jeden ökonomischen Zusammenhang mit seiner Theorie der Akkumulation ist und wie aus der Pistole geschossen kommt. Denn falls die Akkumulation in der bewußten „isolierten kapitalistischen Gesellschaft“ so prächtig gedeihen kann, wie uns Bauer ausgemalt hat, dann muß sie wohl auf der wundersamen Insel auch alle nötigen Naturschätze und Gottesgaben zur Hand haben – anders als der armselige Kapitalismus der dürren Wirklichkeit, der vom ersten Tage seiner Existenz an auf die Produktionsmittel der Welt angewiesen war. Und endlich in dritter Linie, ganz beiläufig, erwähnt Bauer noch in zwei Sätzen als ein Nebenmotiv des Imperialismus die Erwerbung neuer Absatzmärkte, und das lediglich als ein Mittel, die Krisen zu mildern – was an sich „auch eine schöne Stelle“ ist, sintemal bekanntlich auf dem Planeten, den wir bewohnen, jede bedeutende Markterweiterung gerade die gewaltigste Verschärfung der Krisen zum Gefolge hat!

Das ist die „Erklärung des Imperialismus“, die Otto Bauer schließlich zu geben weiß: „Nach unserer Ansicht ist der Kapitalismus auch ohne Expansion denkbar.“ (1.c., S. 874.) [Hervorhebung – R. L.] Darin kulminiert seine Theorie der „isolierten“ Akkumulation, und hier werden wir entlassen mit der tröstlichen Versicherung, daß jedenfalls, ob so oder so, „ob mit, ob ohne Expansion der Kapitalismus selbst seinen Untergang“ herbeiführe.

Das ist historisch-materialistische Methode der Forschung in „sachverständiger“ Handhabung. Der Kapitalismus ist also auch ohne Expansion denkbar. Zwar bildet nach Marx der Drang des Kapitalismus zu plötzlichen Expansionen geradezu das maßgebende Element, den hervorstechendsten Zug der modernen Entwicklung; zwar begleitet die Expansion die ganze geschichtliche Laufbahn des Kapitals und hat in ihrer heutigen imperialistischen Schlußphase einen so ungestümen Charakter angenom-

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