Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 479

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/479

variable Kapital (Summe der Geldlöhne) jahraus, jahrein genau in dem Verhältnis wachsen muß wie die Arbeiterbevölkerung, dann bedeutet dies nicht mehr und nicht weniger, als daß der ganze technische Fortschritt, der ganze Vorteil der Produktivität der Arbeit ausschließlich den Arbeitern zugute kommt, d. h„ daß, abgesehen etwa von der Steigerung auch ihrer privaten Lebenshaltung, die Kapitalisten ihre Mehrwertrate gar nicht steigern würden. In der Tat nimmt Bauer, wie wir wissen, in seinen Tabellen eine unveränderliche Mehrwertrate an. Zwar sagt er uns, er nähme sie „vorerst“ und nur „der Einfachheit halber“ an, gleichsam um unserer geistigen Schwerfälligkeit hilfreich die Hand zu bieten und uns das Erklimmen der ersten Sprosse seiner Theorie zu erleichtern. In Wirklichkeit aber ist diese Annahme – wie sich jetzt herausstellt – der ökonomische Grundpfeiler der Bauerschen Theorie der Akkumulation, auf ihr beruht der ganze „Gleichgewichtszustand“ zwischen Produktion und Konsumtion der Gesellschaft! Denn so bekennt Bauer selbst ausdrücklich:

„Unser Schema (Tabelle IV) setzt voraus, daß 1. die Arbeiterschaft jährlich um 5 Prozent wächst, 2. das variable Kapital in gleichem Verhältnis wächst wie die Arbeiterschaft, 3. das konstante Kapital in dem durch den technischen Fortschritt erheischten Maße schneller wächst als das variable. Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht erstaunlich, daß keine Schwierigkeit entsteht, den Mehrwert zu realisieren.“ (l. c., S. 869.) [Hervorhebungen – R. L.] Ja, aber diese Voraussetzungen sind eben selbst „erstaunlich“ und das in höchstem Maße. Denn wofern wir nicht im blauen Äther mit der Stange herumfahren, sondern auf platter kapitalistischer Erde stehen: welcher Stimulus besteht denn da überhaupt für die Kapitalistenklasse, den technischen Fortschritt anzuwenden und immer gewaltigere Summen in das konstante Kapital, in tote Produktionsmittel, zu stecken, wenn das ganze Resultat dieser Fortschritte der Arbeiterklasse allein zugute kommt? Nach Marx ist die Schaffung des „relativen Mehrwerts“, die Erhöhung der Ausbeutungsrate durch Verbilligung der Arbeitskraft der einzige objektive Beweggrund für die Kapitalistenklasse als Ganzes, um technischen Fortschritt in der Produktion zu fördern, und das eigentliche objektive Resultat, auf das die Konkurrenzkämpfe der Einzelkapitale um Extraprofit unbewußt hinzielen. Die erstaunliche Annahme Bauers ist also, solange der Kapitalismus besteht, pure ökonomische Unmöglichkeit. Nimmt man mit ihm technischen Fortschritt, also Steigerung der Produktivität der Arbeit an, dann folgt daraus sonnenklar, daß das variable Kapital, die Summe der Geldlöhne, ganz unmöglich „in demselben Verhältnis“ wachsen kann wie die Bevölkerung. So daß, wenn diese

Nächste Seite »