Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 474

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gestalt zurückzieht. Diese sogenannte Realisierung des Mehrwerts nach dem Bauerschen Rezept bestände also darin, daß die Kapitalistenklasse immer wieder eine Portion neues Kapital in Warenform gegen die gleiche Portion des eigenen bereits früher angeeigneten Kapitals in Geldform eintauschen würde! Die Kapitalistenklasse vollzieht freilich ständig diese Transaktion in Wirklichkeit, sintemal sie der traurigen Notwendigkeit gehorchen muß, ihrer Arbeitskraft einen Teil des Gesamtproduktes als Subsistenzmittel zuzuweisen, um sie dafür neuen Mehrwert in Warenform produzieren zu lassen. Nur bildete sich die Kapitalistenklasse noch nie ein, daß sie durch dieses Geschäft ihren früheren Mehrwert „realisiere“. Dies zu entdecken blieb Bauer vorbehalten.[1]

lbrigens hat Bauer selbst das dunkle Gefühl, daß die Verwandlung des Mehrwertes in variables Kapital alles andere als „Realisierung des Mehrwerts“ darstellt. Er spricht davon z. B. nicht eine Silbe, solange er von der Erneuerung des variablen Kapitals im alten Umfang handelt. Erst bei den „zuschüssigen Arbeitern“ beginnt das Kunststück. Arbeiter, die schon seit Jahren vom Kapital beschäftigt sind, bekommen einfach Löhne – erst in Geld, dann in Lebensmitteln – und produzieren dafür Mehrwert. Arbeiter hingegen, die bei der Erweiterung des Betriebs frisch angestellt werden, bringen noch mehr zuwege: Sie „realisieren“ den Kapitalisten ihren Mehrwert, und zwar indem sie für den von den Kapitalisten erhaltenen Geldlohn diesen selben Kapitalisten Lebensmittel abkaufen! Arbeiter im allgemeinen realisieren nur für sich die eigene Ware – Arbeitskraft – und tun für das Kapital genug, wenn sie ihm Mehrwert produzieren. Nennt man aber die Arbeiter „zuschüssig“, dann sollen sie das Doppelwunder für das Kapital fertigbringen: 1. den Mehrwert in Waren produzieren und 2. diesen Mehrwert auch noch in Geld realisieren!

Hier sind wir glücklich bei den Elementarbegriffen des Reproduktionsprozesses, im Vorflur des zweiten Bandes des „Kapitals“ angelangt, und

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[1] Ein kleiner „Sachverständiger” hat in der „Dresdner Volkszeitung” (vom 22. Januar 1913) das Problem der Akkumulation auf wunderbare Weise gelöst. „Jede Mark”, belehrt er mich, „die der Arbeiter mehr erhält, schafft eine neue Kapitalanlage für zehn und mehr Mark, so daß der Kampf der Arbeiter ... den Markt für den Mehrwert schafft und die Kapitalakkumulation im eigenen Lande ermöglicht.” Dieser kleine Gescheite! Wenn nächstens einem solchen Sachverständigen einfällt, mitten lm ökonomischen Betrachten einfach „Kikiriki” hinzuschreiben, so wird auch das totsicher als Leitartikel im sozialdemokratischen Organ unbesehen abgedruckt. Betrachten es doch die Herren Redakteure, zumal die akademisch gebildeten, die alle Hände voll zu tun haben, in den parlamentarischen Sitzungssälen und Wandelgängen das Rad der Weltgeschichte zu drehen, längst als altmodische Zeitverschwendung, sich etwa selbst auf die Hosen zu setzen und theoretische Bücher zu lesen, um sich ein gewisses Urteil über auftauchende Probleme zu bilden. Dergleichen wälzt man bequemer auf den ersten besten Notizenschreiber ab, der aus englischen, amerikanischen und anderen statistischen Ausgaben wirtschaftliche Rundschauen zusammenschneidet. – Im Original mit *.